Nationalbank im Kreuzfeuer

Kolumne im Tages-Anzeiger/Bund  vom Dienstag, 18. Januar 2011
«21 Milliarden Verlust der Nationalbank! » – «Nationalbank verbrennt Milliarden!» – Skandal, Skandal! So oder ähnlich skandieren die Kommentatoren. Mit Hiobsbotschaften beunruhigen sie Bürgerinnen und Bürger. Die «Weltwoche» zieht seit Wochen mit unbeschreiblicher Polemik und wirtschaftlicher Inkompetenz die Leitung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) durch den Dreck. Sie versteigt sich sogar zur Behauptung, der Hildebrand von der Nationalbank habe mehr Bankvermögen verjubelt als der Ospel von der UBS. Schreiber anderer Blätter versuchen ihre Profilierung mit Attacken auf SNB, den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank, weil diese gemeinsam den Brand der globalen Währungsspekulation nicht zu löschen vermochten und vorübergehend kapitulieren mussten. In keinem Gebiet der Nationalökonomie wird so viel geschwurbelt und spielt so viel Ideologie und Sektierertum mit wie in der Geld- und Währungspolitik. Das ist meine Erfahrung aus vierzig Jahren Wirtschaftspolitik. Wie sind die 21 Milliarden Franken Nationalbank-Verluste entstanden? Zum besseren Verständnis muss man den Mechanismus dieses Noteninstituts erläutern: Als Europas Einheitswährung schwächer wurde, kaufte die SNB Euro, um zu verhindern, dass sich der Franken rasch aufwertet. Sie wollte eine Deflation (eine Wirtschaftsschwäche mit negativer Teuerung) und Schäden für unsere Exportindustrie und Tourismusbranche abwenden. Wie zahlte die Nationalbank diese Käufe? Mit Schweizer Franken. Woher hatte sie ihre Franken? Sie hatte sie weder ausgelehnt noch durch irgendwelche Geschäfte verdient, sondern gedruckt. Als einzige Institution kann die Nationalbank die Franken, die sie für den Kauf anderer Währungen benötigt, selber schöpfen. Das ist laut Verfassung und Gesetz ihr Privileg. Die SNB kann ihre Vermögensbilanz ohne Verschuldung aufblähen. Die einzige Grenze bilden Inflationsgefahren. Doch solche sind heute mit den geöffneten Grenzen nicht vorhanden. Über hundert Milliarden Franken für Euro-Käufe hat die SNB 2010 auf diese Weise geschaffen. Zuvor hatte sie in der Finanzkrise bereits Dutzende von Milliarden Franken neu geschöpft, um unsere Grossbanken zu stützen. Nun hat sich der Kurswert der eingekauften Euro bis Ende Jahr von vielleicht 1.45 auf 1.25 Franken vermindert. Diese Wertverminderung der gesamten Euro- und ebenso der Dollarbestände der Nationalbank führte zu diesem ominösen «Verlust» von 21 Milliarden Franken. Das ist kein echter Verlust erwirtschafteter Vermögen, sondern bloss eine Wertverminderung in der Buchhaltung, sprich ein «Buchverlust». Vielleicht wird er später aufgefangen, wenn der Euro-Kurs wieder steigt, vielleicht auch nicht. Doch selbst wenn der Verlust bleibt, ist er kein Verlust im unternehmerischen Sinn. Denn die Franken, welche die Nationalbank verloren hat, hatte sie ja – bildlich gesprochen – selber «gedruckt». Aus diesem Grund zeugt es immer von grandioser Inkompetenz, wenn Journalisten Währungs- als Unternehmensverlust darstellen. Die Nationalbank hat, nebenbei erwähnt, auf ihren Goldbeständen einen «Gewinn» von 5 Milliarden erzielt. Aber diesen «Buchgewinn» wird sie bei der nächsten Korrektur der Goldpreisblase wieder «verlieren». Bei der Revision des Nationalbank- Gesetzes schlugen wir seinerzeit vor, dass die SNB quasi zwei getrennte Buchhaltungen führt: eine separate Rechnung für die Währungsgewinne und –verluste sowie eine für die effektiven Kapitalerträge aus den Anlagen ihres Vermögens auf den internationalen Märkten, beim IWF und aus den sogenannten Repogeschäften mit den Banken. Und nur aus diesem zweiten Topf dürfte sie Bund und Kantonen Gewinne abliefern. Dieser Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt. Doch genau eine solche Trennung würde die Nationalbank heute vor Angriffen und Desinformation bewahren. Vielleicht besinnt sich die SNB-Leitung aufgrund der heftigen Kritik auf eine verständlichere und kommunizierbarere Rechnungslegung. Mit Häme wird seit Wochen die hierzulande so bezeichnete «Euro- Schwäche» beschrieben. EU-Kritiker und Besserwisser wiederholen, was sie schon immer wussten: dass die europäische Einheit eine Fehlkonstruktion sei. Aus der Optik der Finanzmärkte und der Finanzjournalisten wird der Euro schlechtgeredet. Der Realwirtschaft jedoch, der europäischen Industrie, konnte nichts Besseres widerfahren als diese Abwertung. Ich vermute, sie ist sogar gewollt oder aktiv toleriert. Denn die Exportunternehmen Europas, vor allem Deutschlands, sind weltweit konkurrenzfähiger geworden und erleben derzeit einen Aufschwung ihrer Ausfuhren. Unser Problem ist der starke Franken, nicht der schwache Euro! Die Schweizer Währung hat sich nicht nur gegenüber der europäischen aufgewertet, sondern auch gegenüber der US-amerikanischen. Demgegenüber ist die Wechselkursparität zwischen dem Euro und dem Dollar heute nach einigen Schwankungen wieder etwa gleich gross wie 2005. Am Anfang der Euro-Schwäche standen sicher die Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit von Randstaaten Europas. Doch längst hat sich eine eigene Spekulationsdynamik entwickelt. Sie führte dazu, dass der Frankenkurs über einen fairen Wert hinaus überschiesst. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich rechnet vor, dass weltweit täglich Wechselkursgeschäfte zwischen dem Franken und allen andern Währungen von 250 Milliarden Dollar abgewickelt werden, davon allein zwischen Franken und Euro täglich 72 Milliarden Franken. Das ist 100-mal mehr als die autonomen Kapitalzuflüsse in den sicheren Hafen Schweiz. Diese Währungsspekulation läuft heute automatisiert auf Computern. Programme gestatten den internationalen Banken vermehrt ein elektronisches Sekunden-Trading, welches sogar den Notenbanken verborgen bleibt. Diese Intransparenz in der kurzfristigen Währungsspekulation ermöglicht es, alle Spekulationsvorwürfe zu dementieren. Zuvor hatte sich die UBS noch gerühmt, weltweit die Nummer zwei in Wechselkursgeschäften zu sein, jetzt dementiert sie ihre Beteiligung. Das ist Täuschungskultur in Reinkultur. Im Kampf gegen die spekulative Frankenaufwertung hat die Nationalbank ihr Bestes getan, um Schäden von der Schweizer Wirtschaft abzuwenden. Vorläufig musste sie jedoch vor den globalen Spekulationskräften kapitulieren. Doch man sollte nicht auf die Feuerwehr eindreschen, weil sie dem Grossfeuer momentan nicht Herr wird. Man sollte vor allem die Brandstifter in die Pflicht nehmen.

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