Kolumne von Rudolf Strahm , in Handelszeitung vom 26. September 2024
————————————————————————————————————-
Die 13. AHV-Monatsrente ist vom Volk angenommen worden. Jetzt muss sie finanziert werden. Der Bundesrat will sie durch eine moderate Erhöhung der Mehrwertsteuer um +0,7 Prozent Normalsatz finanzieren. Und damit ein Defizit in der AHV-Rechnung frühzeitig verhindern.
Von allen Seiten kam Kritik am Bundesratsvorschlag. Da werden alte, nie ausrottbare Mythen erzählt. Der eine behauptet’s, der nächste übernimmt’s und publiziert’s; und zuletzt setzt sich das Fehlurteil im kollektiven Gedächtnis fest: Die Mehrwertsteuer sei unsozial, weil sie alle, Reich und Arm, mit dem gleichen Prozentsatz belaste. Lohnprozent-Beiträge seien nach oben unbegrenzt sozialer. Ein alter Mythos. Allerdings werden dabei alle Kapitalertrags-Bezüger, die nicht angestellt sind, und die bald zwei Millionen Rentner und Rentnerinnen gänzlich von der Lohnprozentfinanzierung befreit. Das ist zunehmend anstössig.
Die meisten kennen den Meccano der Mehrwertsteuer nicht. Wer weiss schon, dass für die 20% einkommensschwächsten Haushalte des untersten Einkommensquintils rund 66 Prozent der Haushaltausgaben, gemessen am Bruttoeinkommen, von der Mehrwertsteuer gänzlich befreit sind? Denn Mieten, Krankenkassenprämien und alle Versicherungen, die bei tiefen Einkommen einen viel grösseren Brocken ausmachen, sind MwSt-befreit. Weitere 18 Prozent der Ausgaben für den Grundbedarf wie Nahrungsmittel, Medikamente, Kulturkonsum sind mit einem dreimal tieferen MwSt-Satz von 2.6 Prozent belastet. Demgegenüber sind in den einkommensstarken Haushalten des obersten Quintils nur noch 24 Prozent gänzlich befreit und weitere 7 Prozent mit reduziertem Satz.
In Frankenbeträgen: Mit dem Bundesratsvorschlag würde beim untersten Einkommens-Quintil die MwSt-Belastung eines Haushalts von heute 77 auf neu 84 Franken pro Monat erhöht, – Mehrbelastung +7 Franken pro Monat.
Beim obersten Quintil nähme jedoch die Mehrwertsteuer von 319 auf 347 Franken zu, – Mehrbelastung +28 Franken pro Monat.
Wer kann schon behaupten, die Mehrwertsteuer sei so unsozial? Wer einen Wocheneinkauf von 100 Franken bei Migros oder Coop tätigt, würde mit dem Bundesratsvorschlag 45 Rappen mehr bezahlen!
Die SP und Gewerkschaften lehnen die vorgeschlagene Mehrwertsteuer-Anhebung ab. Sie möchten mehr Lohnprozent-Beiträge nur von den Beschäftigten und ihren Arbeitgebern.
Die Bürgerlichen von FDP und SVP wiederum lehnen diese MwSt-Finanzierung auch ab. Sie möchten zunächst mit einer „Gesamtschau“ Zeit gewinnen. Sie verfolgen als versteckte Agenda die Absicht, sie könnten später unter dem Defizitdruck „ihre“ Rentenalter-Erhöhung, die das Volk im Sommer mit 75 Prozent Nein-Stimmen versenkt hatte, doch noch durchdrücken. Auch so ein Mythos.
Diese Mehrwertsteuervorlage wird es schwer haben, zumal jeder MwSt-Satzwechsel in der Verfassung ein Volks- und Ständemehr erfordert. Die STAF-Vorlage wurde 2019 dank einer geschickten Kombination von AHV-Finanzierung für links und einer Unternehmenssteuersenkung für rechts deutlich angenommen. Es ist jetzt am Ständerat oder an den Bundesratsparteien, eine ausbalancierte Vorlage auszuhandeln. Beide Lager müssten halt ihre Mythen und Dogmen korrigieren.