Mediengesetz: Die Lokalzeitungen sind in Gefahr

Das neue Mediengesetz ist kein Geschenk an die grossen Verlagshäuser, sondern es unterstützt die existenziellen News aus unserem Lebensumfeld.

Kolumne von Rudolf Strahm

in Tages-Anzeiger, Bund, TA-Online vom 28. Dezember 2021

Vielen Beobachtern erscheint es geradezu schleierhaft, dieses Schattenboxen um das Mediengesetz, über das wir im Februar abstimmen müssen. Der Referendumsführer gegen das erneuerte Massnahmenpaket des Bundes zur Medienförderung ist ein früherer, längst vergessener FDP-Hinterbänkler-Nationalrat aus der Ostschweiz. Er präsidiert und finanziert jetzt eine Online-Zeitung.

Die Hintermänner des Referendums sind nicht bekannt, aber viele Rechtsbürgerliche werden sich ihnen wohl anschliessen. Die Finanzierung des Referendums ist ebenso wenig transparent. Es ist unverkennbar, dass dabei vor allem alte Aversionen gegen die Medienszene reaktiviert werden.

Beim Massnahmenpaket für die Medien geht es um relativ bescheidene Bundesbeträge.

Diese Auseinandersetzung irritiert vor allem die Zeitungsverlage, deren jährliche Werbeeinnahmen seit 2007 von 2,6 auf 1,4 Milliarden Franken fast halbiert worden sind. Dafür wird heute mehr als eine Werbemilliarde aus der Schweiz von Google und Facebook (mit Instagram und Whatsapp) steuerfrei in die USA abgesaugt, was eine gewaltige Marktverzerrung darstellt.

Beim Massnahmenpaket für die Medien geht es um relativ bescheidene Bundesbeträge. Zusätzlich zu den bisher jährlich 50 Millionen Franken Bundesgeldern sollen neu 30 Millionen für die Zustellungsverbilligung von Zeitungen und Zeitschriften, 40 Millionen für die Verbilligung der Frühzustellung sowie 30 Millionen für inländische Onlinemedien hinzukommen.

Nur abonnierte Zeitungen erhalten Zustellverbilligungen, Gratisblätter nicht. Begünstigt wird auch die Mitgliedschafts- und Stiftungspresse, insgesamt sind es 900 Blätter und Journale von A wie «Aargauer Kulturmagazin» bis Z wie «Züri Sport».

Um vorweg eine Falschmeldung der Nein-Propaganda zu klären: Das bisherige und neue Bundesgeld geht nicht an die Verlegerfamilien Ringier, Wanner und Coninx-Supino, sondern es dient der Verbilligung der Post und der Zeitungsverträgerdienste, etwa der Posttochter Presto (Ausnahme natürlich die Beiträge an inländische Onlinedienste). Eine Postvertriebsverbilligung für Zeitungen – die sogenannte indirekte Medienförderung – gibt es schon 172 Jahre, nämlich seit 1849, weil schon die freisinnigen Staatsgründer die Verbreitung von Zeitungen als demokratiepolitisch unverzichtbar betrachteten.

Selbstverständlich bewirkt diese indirekte Medienförderung auch eine Budgetentlastung zugunsten der grossen Medienhäuser. Aber von den Zustellungsermässigungen des Bundes profitieren nach heutiger Berechnung Ringier bloss 3 Prozent, CH Media 7 Prozent und Tamedia, die auch diese Zeitung herausgibt, etwa 11 Prozent. Hingegen gehen 79 Prozent der Bundesgelder an die Regional- und Lokalzeitungen; insgesamt sind 150 Blätter und Blättchen Nutzniesser der Vertriebsverbilligung.

Deshalb brauchen die grossen Zeitungsverlage ihre offene Unterstützung des neuen Mediengesetzes nicht zu scheuen, zumal auch sie defizitäre Lokalblätter finanziell durchtragen. Das Mediengesetz favorisiert die Kleinen und Kleinräumigen, weil die Vertriebsverbilligung degressiv gestaltet ist: Je grösser die Auflage, desto kleiner der Beitragssatz pro Zeitung. So wollte es das Parlament.

Rund 80 Prozent der zukünftigen Medienförderung geht also an die kleineren Blätter, namentlich die Lokal- und Regionalzeitungen und Kulturblätter. Sie bringen den Bürgern Nachrichten, was läuft im Dorf, wo Ausverkaufsaktionen, Ausstellungen, Vereins-, Chor- und Schulanlässe abgehalten werden, wann Spitäler schliessen, wie Zonenplanungen verändert werden. Solche Lokalnachrichten bedienen die lebensweltlich wichtigen Informationsbedürfnisse. Es gehört zur Doppelbödigkeit, dass SVP-Politiker mit ihrem Kampf gegen die Vertriebsverbilligung ausgerechnet der ländlichen Bevölkerung und ihren Regionalzeitungen schaden.

Sind etwa die Zeitungen in den 172 Jahren indirekter Medienförderung zu Staatsmedien geworden?

Die Gegner des Mediengesetzes sammelten ihre Referendumsunterschriften mit den Slogans: «Nein zu gekauften Medien» und «Staatsmedien Nein!». Solch libertärer, antietatistischer Kampfruf ist rein ideologisch! Sind etwa die Zeitungen in den 172 Jahren indirekter Medienförderung zu Staatsmedien geworden? Wie steht es denn um die Unabhängigkeit der Medien, wenn mächtige Inserenten Druck ausüben oder wenn unbekannte Investoren im Hintergrund Einfluss nehmen?

Die Herkunft des Kapitals beim Erwerb der «Weltwoche» oder des «Nebelspalters», die beide das
Mediengesetz hart bekämpfen, bleibt intransparent. Die NZZ mit ihren täglich mehreren Seiten an Finanzanlagen- und Fonds-Inseraten ist nicht ganz unabhängig, zumindest sichtbar rücksichtsvoll. Die NZZ ist total in Widersprüchen gefangen: Der NZZ-Verlag unterstützt das Mediengesetz, aber die mehrheitlich neoliberale NZZ-Redaktion bekämpft es. Bei ihr steht Ideologie vor der Verantwortung um Medienvielfalt.

Bei diesem Referendum geht es aber für Bürger und die Bürgerinnen nicht um Ideologie, sondern um die Frage des persönlichen Nutzens: Wird es für sie in Zukunft noch eine bezahlbare Zeitung im eigenen Briefkasten geben? Das Weltgeschehen können wir aus den globalen Medien locker abrufen. Aber die existenziell berührenden News aus unserem Lebensumfeld erhalten wir nur über die vielfältigen lokalen und regionalen Medien. Beim Mediengesetz geht es um sie.

Publiziert TA-Online 28. 12. 2021