Kurpfuscher bei Geld und Gold

Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 11. November 2014

Im Sommer 2011 herrschte Brandgeruch in der schweizerischen Wirtschaftspolitik. Die Panik kam von der Währungskrise. Firmenchefs wurden in aller Stille aus den Ferien zurückberufen. Mit Hektik wurden Pläne geschmiedet, wie man die Produktion schnellstens ins Ausland verlegen könnte, um der Frankenaufwertung auszuweichen.

Die Eurokrise war damals auf ihrem gefährlichen Höhepunkt angelangt, die Verunsicherung der Finanzmärkte war enorm, die Spekulationskräfte gegen den Euro und die spekulativen Frankenkäufe nahmen gigantische Ausmasse an. Der Devisenkurs der Euro-Währung, der 2009 noch 1.50 Franken pro Euro betragen hatte, war immer stärker abgerutscht. Im Sommer 2011 näherte er sich einem Franken und stand schliesslich auf 1.01 Franken pro Euro. Für die Schweizer Exportindustrie bedeutete dies einen dramatischen Ertragsausfall. Mit diesem Wechselkurs erschien vielen eine weitere Produktion in der Schweiz unmöglich.

Wirtschaftsminister Johann Schneider- Ammann berief Anfang August 2011 auf Begehren von Philipp Hildebrand, dem damaligen Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank (SNB), rund ein Dutzend meinungsführender Konzernchefs zu einem Geheimtreffen in sein Büro. An dieser Krisensitzung wurde der SNB-Führung Rückendeckung zugesichert.

Einen Monat später, am 6. September 2011, überraschte die SNB die Welt mit der Ankündigung, sie werde ab sofort «keinen Euro-Franken-Kurs unter 1.20 tolerieren». Sie werde «diesen Mindestkurs mit aller Konsequenz durchsetzen», und sie sei «bereit, unbeschränkt Devisen zu kaufen».

Was heisst es, den Mindestkurs durchzusetzen? Die SNB muss bereit sein, so lange Euro oder andere ausländische Währungen aufzukaufen, bis die Spekulanten, die auf eine Frankenaufwertung spekulieren, kalte Füsse bekommen. Das erfordert die Bereitschaft, theoretisch unbegrenzte Mengen an selbst geschaffenen Frankenbeträgen (die Nationalbank und nur sie kann diese «drucken») für Käufe ausländischer Devisen einzusetzen, bis jeder Devisenhändler und Währungsspekulant die Limite von 1.20 respektiert. Seit über drei Jahren wird diese Grenze weltweit respektiert, weil man der Nationalbank ihre Kaufkapazität zutraut. Wäre die Goldinitiative, über die das Schweizervolk Ende Monat abstimmen wird, rechtswirksam, wäre ein Kraftakt wie 2011 unmöglich. Denn diese Initiative verlangt, dass die SNB stets 20 Prozent ihrer Aktiven, also ihres Vermögensbestands, in Gold halten müsse. Heute hat sie 7,5 Prozent. Sie müsste also gut ein Dreifaches ihres heute bereits hohen Goldbestandes hinzukaufen.

Mit der Goldinitiative wäre eine Frankenkursbeeinflussung durch die SNB unmöglich. Im Fall einer Währungsspekulation gegen den Schweizer Franken müsste sie zuerst weltweit Gold kaufen oder Goldkäufe sichern; das wäre das beste Voraussignal an die Spekulanten über ihre Absichten. Die Exportwirtschaft könnte sie nicht mehr mit Währungsstabilisierung schützen.

Die Initianten der hauptsächlich von Goldhändlern gesponserten Goldinitiative berufen sich auf den Goldmythos des letzten Jahrhunderts. Für sie ist die Finanzmarkt-Stabilisierung zugunsten der Exportindustrie kein Thema. Die drei Hauptinitianten, Ulrich Schlüer, Luzi Stamm und der junge Lukas Reimann, gehören gewiss nicht zur ersten und zweiten Garnitur von Wirtschaftspolitikern im Lande. Von den Wirkungen moderner Devisenspekulation, Währungsswaps und Sekundentradings dürften sie keine Ahnung haben. Im Initiativkomitee der drei Goldzwerge figuriert kein Wirtschaftspolitiker. Nicht mal einer aus ihrer eigenen Partei, der SVP. Hier drängt sich eine grundsätzliche staatspolitische Bemerkung aus Erfahrung auf. Es gibt in der ganzen Wirtschaftspolitik kein Fachgebiet, das so stark mit extremen Dogmen, Mythen und Ideologien besetzt ist wie die Geld- und Währungspolitik.

Was haben wir nicht alles an sektiererischen Ansichten erlebt, nicht nur von goldsüchtigen Zwergen, sondern auch von dogmatischen Professoren! In den 90er-Jahren verfolgte die Schweizerische Nationalbank unter ihrem völlig überforderten Präsidenten Markus Lusser und seinen Beratern eine extreme monetaristische Geldpolitik. Diese führte über Jahre zu Zinsen von 8 Prozent und mehr und zu einer dauernden Frankenaufwertung um 20 Prozent.

Die Schweiz bezahlte diese Fehlleistung der SNB, die heute allgemein als sektiererische Verirrung betrachtet wird, mit siebenjährigem Nullwachstum und 100 000 zusätzlichen Arbeitslosen. Erst nach dem Rücktritt Lussers und dem Eintritt Bruno Gehrigs in das SNB-Direktorium 1996 wurde das Steuer herumgerissen.

Auch heute gibt es währungspolitische Verirrungen. Die «Vollgeldinitiative », für die ein Aussenseiterkomitee derzeit Unterschriften sammelt, will den Kreditverkehr von den Banken einzig auf die Nationalbank übertragen und so angeblich die Kreditschöpfung des Bankensystems brechen. Jeder Kredit müsste von der Nationalbank verantwortet oder rückfinanziert werden.

Die Initianten übersehen bei ihrer «Inselstrategie», dass wir offene Märkte haben und zwei Drittel aller Frankenbestände im Ausland gehalten werden. Man würde einfach für neue Frankenkredite den Umweg über das Ausland in Anspruch nehmen. Das freundlichste Schicksal, das diese gut gemeinte, aber kaum verständliche Robinson-Initiative erfahren könnte, wäre, dass sie nicht zustande kommt.

Die Geld- und Währungspolitik der Nationalbank ist heute der wichtigste Teil der Wirtschaftspolitik; sie ist viel einflussreicher als die Entscheide der Regierung. Die SNB hat derzeit eine glückliche Hand. Doch es stellt sich langfristig ein Problem der demokratischen Legitimation: Wer kontrolliert denn die Nationalbank?

Die Politik darf der Notenbank vor ihren Entscheiden nicht hineinreden, denn diese muss überraschend und unabhängig eingreifen können. Hingegen sollte man, wie schon beim Nationalbankgesetz gefordert worden ist, die nachträgliche Rechenschaftspflicht der SNB gegenüber dem Parlament etwas ausbauen. In den USA muss der Notenbankchef periodisch vor dem Senatsausschuss Rede und Antwort stehen und seine Politik auch mündlich begründen.

Eine solche transparente, demokratische Rechenschaftspflicht der Nationalbank würde sie vor Mythen, Ideologen und goldfixierten Kurpfuschern schützen. Es würde ihre Unabhängigkeit und Legitimation sogar stärken.

 

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