Konzerne als versteckte Abstimmungskämpfer

Internationale Öl- und Agrochemie-Konzerne buttern Millionen in den Abstimmungskampagnen. Ihre Ziele reichen aber weit über die Schweiz.

Kolumne von Rudolf Strahm in TA-Online 18. 5. 2021

Wissen die Stimmbürger, dass sie mit der nächsten Volksabstimmung einige der weltgrössten Konzerne in Alarmstimmung versetzt und internationale Wirtschaftspolitik schreiben?

Formal betrachtet, geht es bei den Abstimmungsvorlagen um Pestizide und um fossile Brenn- und Treibstoffe. Doch bei vertieftem Blick ins politische Kräftespiel steuern und finanzieren hinter den Kulissen grosse, in die Defensive geratene multinationale Konzerne den Abstimmungskampf. Diese Abstimmungskampagne ist eine Art Krieg der Stellvertreter.

Direkt interessierte Konzerne finanzieren die Kampagnen. Ihre Werbeagenturen setzen auf die kleinen Kantone mit dem Ziel: Ablehnung auf dem Land und beim Ständemehr. Dieses taktische „Erfolgsmodell“ aus der Konzernverantwortungsinitiative verändert, wenn es Schule macht, unsere Abstimmungsdemokratie fundamental.

Die multinationalen Konzerne setzen Millionen ein, weil die Abstimmungsresultate in der Schweiz als Akzeptanzmesser mit globaler Signalwirkung wahrgenommen werden. In den Konzernzentralen von Syngenta und Bayer-Monsanto ist die Nervosität wegen der zwei Pestizidinitiativen gross. Syngenta gehört heute vollständig dem staatlich-kommunistischen ChinaChem-Konzern. Und Bayer-Monsanto ist Branchenführer an der Wallstreet. Ihre Beteiligung im Abstimmungskampf ist verdeckt. Die Mitfinanzierung der Nein-Kampagne läuft über die Economiesuisse, deren Präsident zuvor 18 Jahre Manager bei Syngenta war. Der Finanzbeitrag von Economiesuisse ist laut Recherche der Rundschau SRF grösser als jener des Bauernverbands.

Direkter und transparenter ist der Referendumskampf der multinationalen Öl- und Gaskonzerne gegen das CO2-Gesetz. Weil sich zunächst keine politische Kraft für eine Abstimmung einspannen lassen wollte, lancierte der Brenn- und Treibstoffverband Avenergy Suisse gleich selber das Referendum und fand einzig die SVP als vorgeschobene politische Kraft.

Die Avenergy-Kampagne wird nach eigener Angabe von den Schweizer Niederlassungen der weltgrössten Konzerne BP, Shell, Total, Tamoil, Avia, Eni finanziert; mit dabei auch der SOCAR-Konzern des undurchsichtigen aserbaidschanischen Oelmagnaten Rövnang Abdullayev. Die kleine Schweiz ist für diese Ölgiganten an sich nicht bedeutend. Aber mit ihrer Einmischung wollen sie die Signalwirkung auf die EU-Länder und die USA, die sich ebenfalls auf die Strategie „Klimaneutral bis 2050“ verpflichtet hatten, im Keim unterdrücken.

Hauseigentümerverband betreibt bizarre Schwarzmalerei

Dieses CO2-Gesetz ist vom  Parlament sorgfältig austariert worden. Es enthält keine Verbote. Niemand muss auf Wärmekomfort verzichten. Es lenkt die neuen Energietechnologien viel effizienter mittels Kostenwahrheit, ökonomischen Anreizen und Innovationen. Deshalb wird das Gesetz von allen Parteien auf Bundesebene ausser der SVP und von den namhaften Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften unterstützt. Die SVP schickt bloss ihre Rechtsaussentruppe in den Stellvertreterkampf gegen das Gesetz. Doch vor allem Bauern und Gewerbler in der SVP-Basis unterstützen es. Sie profitieren direkt von dessen Fördergeldern.

Der von SVP-Politikern dominierte Hauseigentümerverband HEV betreibt mit seiner Ablehnung des CO2-Gesetzes mit bizarrer Schwarzmalerei („Wohnungen für alle verteuern““, „Zwangskündigungen für Mieter“) reine SVP-Parteipolitik und irritiert damit viele seiner Mitglieder. Denn viele Einfamilienhausbesitzer haben als erste Fördergelder für den Ersatz ihrer Ölheizung durch Wärmepumpe und Solaranlage bezogen. Niemand muss mit dem Gesetz seine funktionierende Ölheizung verschrotten. Jeder geniesst Besitzstandsgarantie. Der Wechsel zu einer Wärmepumpe oder Solaranlage ist erst nach dem Ausstieg des alten Ölbrenners und nur bei nichtisolierten Bauten vorgeschrieben. Für die Heizungserneuerung und Isolation gibt es Fördergelder. Das kommt auch allen Mietern zugute!

Im Abstimmungskampf um das CO2-Gesetz wird um Rappen gestritten. Maximal müssten die Treibstoffkonzerne 12 Rappen pro Liter Benzin oder Diesel für Klimaprojekte abliefern. Das ist viel weniger als die spekulativen Preisschwankungen: Der Benzinpreis lag im Mai 2019 nahe bei 170 Rappen pro Liter, sackte dann bis  Mai 2020 um 40 Rappen ab, und heute liegt er wieder bei 163 Rappen. Hat jemand von der SVP jemals gegen diese spekulativen Preisschwankungen protestiert?

Gegner führen Kleinkrieg von Behauptungen um Benzinrappen  und Förderfranken

Die Preisüberwachung hatte schon früher festgestellt: Wenn der internationale Ölpreis ansteigt, schnellen die Benzinpreise an der Tankstelle sofort hoch; wenn der Erdölpreis sinkt, verzögert sich die fällige Preissenkung um Monate. Doch jetzt machen SVP und Ölkonzerne mit den maximal 12 Rappen Klimazuschlag ein Höllenlamento. Sie mobilisieren die Landbevölkerung und schicken die Sportwagen- und Oldtimer-Verbände und den kleineren, zerstrittenen ACS vor, nachdem der grosse TCS ihnen nicht gefolgt war und die Ja-Parole beschloss. 

Die Gegner argumentieren mit einem Kleinkrieg von Behauptungen um Benzinrappen und Förderfranken. Unterdrückt wird, dass sich der technologische Kurswechsel gesamtwirtschaftlich mehrfach auszahlt. Jährlich verschwenden wir 8 Milliarden Franken Zahlungen ans Ausland für die Öl- und Gasimporte. Diese Milliarden stattdessen für energetische Investitionen im Inland einsetzen, ist doch effizienter! Allein im Cleantech-Bereich ist der Wertschöpfungsgewinn des CO2-Gesetzes laut BAK Basel 1,6 Milliarden Franken. Die ausgelösten Investitionen schaffen bis 2030 neue 9000 Vollzeitstellen in Zukunftsberufen.

Das Energieeffizienzprogramm des CO2-Gesetzes pusht zukunftsfähige gewerblliche Branchen: etwa Gebäudeautomatik, Gebäudetechnik für Heizung, Lüftung, Sanitär, Montage für Heizung, Sensortechnik, Wärmepumpen. Solaranlagen, Automobilgewerbe-Mechatronik.

Die Lehrlinge in diesen energietechnischen Berufen sind die eigentlichen „Klimaaktivisten“ unter den Jugendlichen. An den Streiks und Platzbesetzungen der zur Selbsterweckungsbewegung gewandelten „Fridays for Future“ der Gymnasiasten und Studenten sieht man sie nicht. Denn am Werktag müssen sie in ihrer Firma arbeiten. Sie sind aber jene, die heute und in Zukunft dafür sorgen, dass wir von den fossilen Energien effektiv wegkommen.

Ablehnung des CO2-Gesetzes wäre allein Sieg der Erdölkonzerne

Es irritiert, dass die radikalisierte Klimabewegung der akademischen Jugendlichen das CO2-Gesetz unerwähnt beiseite liegen lässt. Es irritiert vollends, dass Teile von ihr Referendumsunterschriften gegen das CO2-Gesetz sammelten, weil ihnen alles zu langsam geht.

Wollte man gemäss den Forderungen der Klimaaktivisten schon bis 2030 zwangsweise auf Öl, Benzin und Gas verzichten – anstatt bis 2050 gemäss der Perspektive des CO2-Gesetzes –   müsste man in den nächsten zehn Jahren über eine Million Heizungen und zwei Millionen Autos vorzeitig verschrotten. Das wäre sicher nicht klimakonform.

Eine Ablehnung des CO2-Gesetzes wäre allein der Sieg der Erdölkonzerne. Man würde ihnen ermöglichen, mit ihrer Auslauftechnologie den dringenden Effizienzumbau in der Wirtschaft um viele Jahre hinaus zu zögern.

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Dieser Text von Rudolf Strahm erschien am 18. 5. 2021 als Kolumne (Langfassung) auf TA-Online.

Die Kolumne (leicht gekürzte Printfassung) wurde im Tages-Anzeiger und Bund am 18. 5. 2021 publiziert.

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