KMU haben mehr bildungspolitischen Support verdient

Artikel in Unternehmer-Zeitung Nr. 11-2013 vom Okt.2013

Alles spricht von Hochschulbildung, das heisst von ETH, Universitäten, Fachhochschulen und akademischer Spitzenforschung der Tertiär-A-Stufe. Doch wer weiss schon, dass den rund 28000 Hochschulabschlüssen der Hochschulen (ohne Doppelzählungen) rund 27000 Abschlüsse der Höheren Berufsbildung (Tertiär-B-Stufe) gegenüberstehen? Wer ausser den KMU-Chefs nimmt die Höhere Berufsbildung HBB schon wahr?

 

Weder die Hochschul-Ökonomie und die Wirtschaftspolitik noch die Mehrzahl der Parlamentarier erkennen die Bedeutung der Höheren Berufsbildung für die Wirtschaft und die hohe Produktivität des Landes. Und in der bildungselitären Romandie mit ihrer hohen Maturitätsquote gibt es sie fast nicht. Die HBB ist der verkannteste Bereich in der schweizerischen Bildungssystematik. Doch deren Abschlüsse sind neben der Berufslehre das wichtigste Fachkräftereservoir für die KMU-Wirtschaft. Und diese umfasst immerhin 99,6 Prozent aller Unternehmen und beschäftigt rund zwei Drittel aller Arbeitnehmer in der Schweiz.

Viel stärker noch als die Hochschulbildung liefert die Höhere Berufsbildung die Spezialisten für die KMU-Szene. Sie ist der wichtigste Transmissionsmotor zur Diffusion der neusten Technologien und des modernen Prozesswissens in die KMU-Wirtschaft. Mit der HBB werden zum Beispiel Spengler und Heizungsmonteure zu Spezialisten der Gebäude-, Solar-, Wärmepumpen- und Sensortechnik. Oder die Elektriker zu Spezialisten der Gebäudeautomation, und zwar auf einem Niveau, das ausländischen Ingenieuren entspricht.

Oder KV-Absolventen werden mit der HBB zu Controllern, Rechnungsprüfern und Treuhandexperten, die in der KMU-Wirtschaft das Rechnungswesen im Griff haben.

Die Absolventen der Höheren Berufsbildung sind die mittleren Kader der KMU-Wirtschaft, betriebssoziologisch stellen sie deren Rückgrat dar. Gemäss Unternehmensbefragung im Lehrstellenbarometer des Staatssekretariats (ehemals BBT) sind die HBB-Absolventen zahlenmässig die begehrtesten Fachkräfte in der Wirtschaft – begehrter noch als die Fachhochschul- und die Universitätsabsolventen. Es ist nicht verwunderlich, dass die Hochschulszene, die immer praxis- und arbeitsmarktferner wird, sich von der Höheren Berufsbildung in manchen Branchen konkurrenziert fühlt.

 

Elitäre Benachteiligung der HBB

Trotz dieser Bedeutung wird die HBB von der akademischen Elite und von Bundesbern immer wieder ignoriert, zurückgestellt und benachteiligt. Dieser Tatbestand lässt sich in mehreren bildungspolitischen Handlungsfeldern aufzeigen.

Erstens wird die HBB punkto Finanzierung von Bund und Kantonen stiefmütterlich behandelt. Die Höheren Fachschulen werden nur teilweise (mit 20 bis 30 Prozent oder gar nicht) und die Abschlussexamen der eidgenössischen Berufs-  und Fachprüfungen vom Bund mit 60 Prozent mitfinanziert, aber die viel kostenintensiveren Vorbereitungskurse gar nicht.

Während ein HBB-Student 6000 bis 10000 Franken pro Jahr für seine höhere Ausbildung zahlen muss – oft von ­seinem Arbeitgeber mitfinanziert –, zahlt ein gleichalt­riger Uni- oder Fachhochschulstudent bloss 1500 Franken ­Studiengebühren im Jahr. Eine krasse Ungleichbehandlung. Der Schweizerische Gewerbeverband fordert – meines Erachtens zu Recht – einen höheren Bundesanteil an die HBB.

Zweitens zeigt sich der Bund schäbig mit der Aner­kennung der Titel der HBB. Im Bereich der Höheren Berufsbildung gibt es zwar 520 spezielle Diplome und  Fach­ausweise, aber keinen einheitlichen, übergreifenden Titel, wie diese die Hochschulen mit dem Bachelor und dem ­Master erteilen und wie sie alle Berufslehren mit dem EFZ kennen.

Schon seit langem wird für die HBB eine Titeläquivalenz gefordert mit einer anerkannten, übergreifenden Titel­bezeichnung «Professional Bachelor» und «Professional Master» (respektive «Swiss Professional Bachelor»), ­welche für den Arbeitsmarkt zusätzlich zur bisherigen ­deutschen Diplombezeichnung verwendet und geschützt werden soll.

In Grossfirmen gilt der höhere Berufsabschluss meist nichts, weil die HR-Verantwortlichen (die oft aus dem Ausland stammen) diesen nicht kennen und im Zeichen der Personenfreizügigkeit Bachelor- und Masterabsolventen aus ausländischen Universitäten bevorzugen – obschon hiesige HBB-Absolventen oft mehr können.

Im Parlament ist eine Motion von Nationalrat Aebischer (BE) mit 72 Unterschriften von Parlamentariern aller Parteien seit langem hängig, die eine Titeläquivalenz für HBB-Absolventen fordert. Bundesrat Johann Schneider-Ammann als Wirtschafts- und Bildungsminister bekennt sich zwar stets für die Berufsbildung, doch in Sachen Titelanerkennung der HBB-Absolventen vollführt er Eiertänze mit Nicht-Entscheiden. Und seine Partei, die FDP, zeigt sich immer mehrt bildungselitär und ignorant gegenüber der Berufsbildung. Dies im Gegensatz zur FDP-Fraktion der 1990er-Jahre, als sie unter Federführung der Nationalräte Johannes Randegger (BS) und Peter Kofmel (SO) die Berufsbildungsreform stark unterstützte und förderte. Die heute vom freisinnigen Nationalrat Christian Wasserfallen (BE) präsidierte Vereinigung der Fachhochschulabsolventen wehrt sich aus standespolitischen Gründen verbissen gegen eine Titeläquivalenz der HBB.

Die Höhere Berufsbildung ist derzeit die wichtigste Baustelle im schweizerischen Bildungssystem. Deren Aufwertung ist quasi die Schicksalsfrage für die schweizerische Berufsbildung, die im Zeichen der Personenfreizügigkeit immer stärker vom Akademisierungstrend bedrängt wird. Viele Wirtschafts- und Bildungspolitiker haben dies noch nicht begriffen.

Die Bildungspolitik ist auch Wirtschaftspolitik, und Wirtschaftspolitik heisst auch Bildungspolitik!

>>PDF Download

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.