Kinderabzüge bei den Steuern: Der dreiste Steuertrick für die Bessergestellten

Kolumne von Rudolf Strahm in TA-Media vom 8. ——————-. September 2020

„Änderung des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer. Steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten“ So steht es auf dem Stimmzettel für den 27. September.

Senkung von Kinderkosten: Das tönt doch sympathisch! Denn Kinder sind teuer. Die ersten Umfragen zu den Stimmabsichten zeigten eine hohe Voraus-Sympathie für steuerliche Kinderabzüge. Mit geeigneter Wortwahl kann man eine Abstimmung beeinflussen.

Wenn es bloss um die erhöhten Abzüge für die belegbaren Drittbetreuungskosten in den Kitas ginge, wie es der Stimmzettel vortäuscht, gäbe es diese Volksabstimmung nicht. Diese Entlastung der Kita-Kosten wurde vom Bundesrat vorgeschlagen. Für den Bund ergäbe dies einen Steuerausfall von bloss 10 Millionen Franken jährlich.

Das Täuschungsmanöver liegt verborgen hinter jener Steuersenkung, die auf dem Stimmzettel unerwähnt bleibt, nämlich die generelle Erhöhung des allgemeinen Kinderabzugs. Der von rechtsbürgerlichen Parlamentariern in die Vorlage hineingeschmuggelte „allgemeine Kinderabzug“ bedeutet, dass für jedes Kind und jeden Jugendlichen ein Abzug von neu 10‘000 Franken vom Einkommen zugelassen werden soll.

Diesen zusätzlichen Abzug wollte der Bundesrat nicht. Auch die Kantone waren dagegen. Finanzminister Maurer bekämpfte ihn im Parlament wegen der 370 Millionen Franken an jährlichen Steuerausfällen für den Bund und weil er eine Steuersubvention für die obersten Einkommen darstellt. Er unterlag und deswegen will er auch nicht in der TV-Arena zu dieser Abstimmungsvorlage auftreten. Dieser stille Protest eines Bundesrats ist immerhin konsequent.

Die Progression bei der direkten Bundessteuer bringt es mit sich, dass 70 Prozent dieser 370 Millionen Steuersenkung nur den 15 Prozent Reichsten zugutekommen. Das sind die Haushalte mit über 150‘000 Franken Bruttoeinkommen! Es ist eine Steuerentlastung für Reiche. Einverdiener-Ehepaare mit einem Bruttoeinkommen unter 95‘000 Franken kriegen gar nichts. Insgesamt würden nur 6 Prozent aller Haushalte allen Alters überhaupt in den Genuss dieser Steuersenkung kommen.

Der gesunde Menschenverstand würde eigentlich nahelegen, dass die frankenmässigen Kinderabzüge bei den Steuern für alle Kinder gleich hoch sein sollten. Denn Kinderkosten sind nicht extrem unterschiedlich. Die Steuervorlage, über die wir abstimmen – dies lässt sich im Bundesbüchlein herausrechnen – würde aber für eine Zwei-Kinder-Familie mit 160‘000 Franken steuerbarem Einkommen einen dreieinhalbmal höheren Abzug als für eine Familie mit dem halb so hohen Einkommen bewirken. Offensichtlich eine Kindersubvention für Wohlhabende.

Der Urheber dieses Steuergeschenks für jene an den sonnigen Hanglagen stammt vom rechtsstehenden Kommunikationsberater und CVP-Nationalrat Philipp Kutter. Ohne Vorbereitung in der Kommission plazierte er in einer Hauruckübung mit „Hinterlist“ – so bezeichnete es die NZZ-Redaktion – seinen Einzelantrag im Parlament. In einem NZZ-Interview begründete Kutter seinen hinterlistigen Steuertrick unverblümt so: Eine sichtbare Tarifsenkung der Steuern für die Reichen sei „politisch völlig chancenlos“. „Der Weg über die Kinderabzüge ist der einzige, der mehrheitsfähig ist“, so bekannte er sich offen zu seinem dreisten Trick.

In der Vorwahlzeit des letzten Jahres schmeckte ein solches Wahlgeschenk zugunsten reicher Wähler manchem bürgerlichen Parlamentarier sehr. Bundesrat Maurer wehrte sich in mehreren scharfen Voten dagegen, nicht nur wegen der Bundeskasse, sondern weil er weiss, dass die Mehrzahl seiner weniger gut betuchten SVP-Wählerbasis damit auch geprellt wird.

Mit den 370 Millionen Steuerverlust für die Bundeskasse könnte man, anstatt die reichsten Haushalte zu subventionieren, schweizweit allen Kindern die KV-Prämie um mehr als ein Viertel senken.

Diese Vorlage hat deswegen eine grosse Bedeutung, weil in der bürgerlichen Agenda noch eine Serie weiterer Steuerentlastungen für das Kapital und für Vermögende geplant sind. Laut Steuerverwaltung sind weitere Steuererlasse im Ausmass von 1,9 Milliarden Franken an jährlichen Ausfällen in der parlamentarischen Pipeline der Bürgerlichen: Abschaffung der Stempelabgabe der Banken, Abschaffung des Versicherungsstempels der Privatassekuranz, Teilabschaffung der Verrechnungssteuer, Abschaffung der Emissionsabgabe auf dem Eigenkapital von Firmen.

Jedes geforderte Steuerschlupfloch hat seine eigene Lobby. Beispiel: Abschaffung der Stempelsteuer. Das wäre besonders stossend. Denn bei der Einführung der Mehrwertsteuer 1995 hatte man die Bankgeschäfte und die Versicherungen von der Mehrwertsteuer befreit. Als Kompensation wurde die Stempelsteuer für Banken beibehalten und für Versicherungen neu geregelt. Heute, 25 Jahre, später will sich niemand mehr an diese Kompromisslösung erinnern. Das ist gegen Treu und Glauben.

Scheibchen um Scheibchen sollen Kapital, Gewinne sowie hohe Vermögen und Einkommen steuerlich entlastet werden. Die Ausfälle zahlt letztlich der Mittelstand oder sie gehen zulasten der Investitionen im Service public. Wenn dieser hinterlistige Steuertrick für die Reichen diesmal durchgeht, wird die bürgerliche Mehrheit mit ihrem Schlupflochprogramm durchmarschieren. Da können Linke, Mittelstandsbürger, Thomas Piketty-Anhänger und Sozialforscher noch so viel über die wachsende Einkommenskluft jammern, – das Spiel in Richtung Ungleichheit geht weiter. Deshalb sollte man jetzt eigentlich sagen: Wehret diesen Anfängen.