Jeder fünfte Kassen-Franken geht nicht an die Versicherten

Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 10. Juli 2012

Die Zürcher, die Berner und die Steuerzahler anderer Kantone haben Ärger mit ihren staatlichen Pensionskassen. Tausende Chefs von kleinen und mittleren Unternehmen schlucken ihren Unmut über die Sammelstiftungen und autonomen Pensionskassen runter, die ihre Verluste noch weniger transparent machen als die öffentlichen. Der Handlungsbedarf ist gross.

Bei der Beamtenversicherungskasse des Kantons Zürich (BVK) belaufen sich die Verluste auf über 4 Milliarden Franken. Unsummen sind mit Investitionen in rund 450 Hedgefonds und Private-Equity-Fonds – im Fachjargon verschleiernd als «alternative Anlagen» bezeichnet – verspekuliert worden. Korruption war mit im Spiel. Der Kanton muss wahrscheinlich über 2 Milliarden Franken an Steuergeld einschiessen.

In Bern muss der finanzschwache Kanton der Lehrerversicherungs- und der Personalkasse (BLVK und BPK) wahrscheinlich mit 3 Milliarden Franken unter die Arme greifen. Der Hauptgrund für das Malaise ist die ungenügende Ausfinanzierung durch den Kanton, als er die beiden Kassen in die Selbstständigkeit entliess. Der Berner Pensionskassenexperte, der die ungenügende Abdeckung damals in einer fürstlich bezahlten Expertise – in sträflicher Fehleinschätzung – empfahl, bleibt von jeder Mithaftung für das Debakel verschont.

In Zürich sind die Gründe des Milliardenverlusts aufgrund der Korruption gerichtlich untersucht und publik gemacht worden. In der Regel bleiben sie bei autonomen Kassen und Sammelstiftungen aber intransparent, weil keiner der Verantwortlichen an einer Aufklärung interessiert ist. Sie verstecken sich bei verlustreichen Abschlüssen hinter der lapidaren Bekanntgabe einer «Unterdeckung»; die Gründe dafür werden unter Hinweis auf die «Unbill der Kapitalmärkte» oder auf die Alterung der Bevölkerung verschleiert. Die eigentlichen Gründe für die kurzfristige Unterdeckung sind nicht deklarationspflichtig – und so bleiben die detaillierten Verluste und die Fehlentscheide der Anlageexperten üblicher- weise geheim.

Die beiden Hauptgründe für die Unterdeckung werden der Öffentlichkeit verschwiegen: erstens die hohen Verwaltungs- und Vermögensverwaltungskosten; zweitens abenteuerliche Anlagen, mit denen Pensionskassenvermögen schlicht verspekuliert werden. Alles wird im anonymisierenden Begriff der «Kapitalunterdeckung» verpackt.

Wahrscheinlich gehört es zur Déformation professionnelle eines ehemaligen Preisüberwachers, auf die Kosten, Gebühren und Sickerlöcher zu achten. Ich bin entschieden der Meinung, dass in der Pensionskassendebatte auch hinter den Schleier der «Kapitalunterdeckung» geschaut werden muss. Was ist darunter versteckt? Und wer profitiert von diesem 700-Milliarden-Anlagebusiness?

Kaum jemand weiss, dass die Kosten von Verwaltung und Vermögensverwaltung bei den schweizerischen Pensionskassen durchschnittlich 20 Prozent der jährlichen Kapital- und Rentenauszahlungen ausmachen. Mit anderen Worten: Jeder fünfte Franken geht nicht an die Versicherten – selbst wenn man die Anlageverluste noch nicht einmal berücksichtigt. Diese Zahlen stammen aus zwei Kostenanalysen, die das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) in Auftrag gegeben hat: Demnach versickern jährlich 3,9 Milliarden Franken an Vermögensverwaltungskosten bei Anlagefonds, Hedgefonds, Dachfonds, Banken und externen Asset-Management-Gesellschaften in Form von Gebühren, Provisionen und Transaktionskosten. Drei Viertel davon werden in den Bilanzen nicht ausgewiesen. Die 6 Prozent an Hedgefonds Anlagen allein verschlingen ein Drittel aller Vermögensverwaltungskosten. Die rund 2300 Pensionskassen ihrerseits beanspruchen 1,8 Milliarden Franken an Verwaltungskosten. Zusammen macht das 5,7 Milliarden Franken: ein Fünftel der Renten- und Kapitalleistungen.

Umgerechnet auf die gesamte Anlagesumme betragen die Kosten von Verwaltung und Vermögensverwaltung annähernd ein Zinsprozent. Sie sind die Renditekiller der zweiten Säule.  Seit Monaten führen Pensionskassenkreise und Lobbyisten der Privatversicherer eine orchestrierte Kampagne zur Senkung des Umwandlungssatzes und des technischen Zinssatzes. Die Sickerlöcher bei der Vermögensverwaltung und die Selbstbedienungsmentalität der Anlageexperten sind dabei kein Thema. Niemand hat ein Interesse, sie offenzulegen. Der Experte Martin Janssen zum Beispiel, der sich als Finanzprofessor der Universität Zürich häufig zitieren  lässt und stets der Deregulierung und Liberalisierung das Wort redet, ist Gründer und Mitinhaber einer der grössten privaten Finanzanlage-Gesellschaften für Pensionskassengelder.

Der Bundesrat muss demnächst Entscheide über die Zukunft der zweiten Säule fällen. Die Pensionskassen, Versicherungsgesellschaften und ihre Nutzniesser im Anlagebusiness drängen auf eine rasche Senkung des Umwandlungssatzes, mit andern Worten: auf eine Rentenkürzung. Das ist die billigste Art, Probleme zu verdrängen. Angezeigt sind vertrauensbildende Massnahmen, nachdem das Volk die Vorlage für ein Berufliches Vorsorge Gesetz, BVG, im Jahr 2010 mit 73 Prozent Nein-Stimmen versenkt hat.  Nötig ist erstens eine klare Kostentransparenz mit einer vergleichbaren Kennziffer für die Totalkosten. Das Total sämtlicher Verwaltungs- und Vermögensverwaltungskosten muss in Franken pro Versicherten respektive in Prozent der Anlagesumme ausgewiesen werden.

Zweitens braucht es restriktivere Anlagevorschriften, die spekulative Anlagen verbieten. Die langfristigen Pensionskassengelder haben nichts in Hedgefonds, ausländischen Private- Equity-Fonds und Rohstoffspekulationen zu suchen.

Drittens ist die Offenlegung der Expertenhonorare zu verlangen und das Verbot von Kickbacks, Provisionen und Retrozessionen durchzusetzen. Zudem braucht es eine Mithaftung der Anlageberater und Asset Manager bei Falschberatung und Verlusten.

Die Vermögen unserer Pensionskassen basieren auf dem gesetzlich verordneten Zwangssparen. Sie sind den Kassen und Anlagemanagern nur anvertraut. Das rechtfertigt eine strenge Regulierung und Aufsicht zum Schutz der Versicherten. Selbstverständlich muss auch das Problem der Alterung beim Umwandlungssatz berücksichtigt werden. Aber vorher ist das zerstörte Vertrauen wieder herzustellen. Das Volk wird das letzte Wort haben.
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