Ist das Krebsgeschwür Korruption nicht therapierbar?

Kolumne im Tagesanzeiger/Bund vom 09 Juni 2015

Nun wollen in der Schweiz plötzlich alle gewusst haben, dass die Fifa ein Korruptionssystem ist. Zuvor ist sie allseits geschont und Joseph Blatter von Politikern aller Couleur hofiert worden. Man wollte nicht wahrhaben, dass das «System Fifa» seit langem als Organisation zum Korruptionsexport galt. Und man hatte gerne ignoriert, dass das «System Fifa» im Ausland längst als ein «System Schweiz» wahrgenommen wurde, imagemässig verstärkt mit Bankgeheimnis, Täuschungskultur und Steuerabkommen für Milliardäre.

Bemerkenswert und absolut falltypisch ist die Tatsache, dass der wirksame Zugriff auf das Korruptionssystem Fifa vom Ausland, nämlich von der amerikanischen Justiz, und nicht von der Schweiz selber ausging. Die Schweiz hatte historisch nie die Kraft, in Sachen Wirtschafts- und Steuerkriminalität von sich aus ihr Haus in Ordnung zu bringen. Nur auf ausländischen Druck wurden in den 80er- Jahren bei uns die Geldwäscherei gesetzlich strafbar gemacht und eine Insiderstrafnorm eingeführt, in den 90er-Jahren die Banken 40 Jahre verspätet zur Offenlegung und Rückerstattung von nachrichtenlosen Geldern der Holocaust-Opfer gezwungen und seit 2010 das Steuerfluchtgeheimnis aufgebrochen. Ständig wurden im schweizerischen Wirtschafts- und Fiskalrecht neue Spitzfindigkeiten und Schlupflöcher eingebaut.

Den jüngsten Beweis für diese These hat letzte Woche, nur einige Tage nach dem Auffliegen des Fifa-Korruptionssystems, der Ständerat geliefert: Er beschloss, dass private Schmiergeldzahlungen aus der Schweiz nur gerade dann als strafbares Offizialdelikt gelten sollen, wenn bei der Aufdeckung «ein öffentliches Interesse» bestehe, in allen andern Fällen nur auf Antrag von Geschädigten. Wer würde denn im Korruptionsfall Fifa als «Geschädigter» auftreten und Strafanzeige einreichen? Und wie würde das «öffentliche Interesse » bei der privaten Weltmacht Fifa zu beurteilen sein? Kurz: Das Korruptionsbegünstigungssystem wird verfeinert und läuft weiter.

Wenn sich ein Korruptionssystem mit legalen oder illegalen Begünstigungsstrukturen einmal eingenistet hat, wuchert es weiter wie ein Krebsgeschwür. Ohne knallharte Chemotherapie aus dem Ausland lässt es sich nie mehr ausrotten. Der Fall Fifa ist bloss die Spitze des Eisbergs. Wir erleben dieses krebsartige Geschwür auch bei den unzähligen Begünstigungsabkommen mit ausländischen Rohstoffhandelsfirmen, zwielichtigen Konzernsitzen, Financiers und Hedgefonds.

Die zukünftigen aussenpolitischen Grossrisiken für unser Land liegen bei den rund 500 Rohstoffhandelsfirmen und den mehreren Tausend Domizilgesellschaften ausländischer Konzerne, die ihren Standort in der wirtschaftskriminalistisch schwachen Schweiz suchten und die geheimen Steuerabkommen in ihrem Sitzkanton ausnützen.

Doch es gibt mit zwei Volksinitiativen auch eine Gegenbewegung der Zivilgesellschaft. Mit der Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln » (Spekulationsstoppinitiative) soll die kurzfristige Spekulation mit Lebensmitteln durch Banken, Versicherungsgesellschaften, Effektenhändler und Hedgefonds von der Schweiz aus verboten werden.

Anvisiert sind jene Finanzspekulanten, die bei momentanen Verknappungen von Reis, Mais oder Weizen die Preise in die Höhe treiben und zeitweilig zusätzlichen Hunger in der Welt produzieren. Die Initiative ist intelligent formuliert, weil sie Terminkäufe von Produzenten, echten Handelsfirmen und Endverbrauchern weiterhin zulässt. Die Initiative ist von den Juso gestartet worden und geniesst auch die Unterstützung von Hilfswerken. Spannend ist, wie sich der Schweizerische Bauernverband zu jenem Schutz gegen Nahrungsmittelspekulation verhalten wird, den die Bauern bei uns von Staats wegen längst geniessen.

Die zweite, neuere Initiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutze von Mensch und Umwelt» (Konzernverantwortungsinitiative) ist aussenpolitisch von grösster Tragweite. Sie ist in diesem Frühjahr von Entwicklungsorganisationen unter Federführung der Erklärung von Bern gestartet worden. Sie will, dass die Konzernmutter mit Sitz in der Schweiz mitverantwortlich und haftbar ist für Menschenrechtsverletzungen, Umweltschäden und korrupte Geschäftspraktiken, die ihre Konzerntöchter im Ausland begehen. Heute können sich ausländische Konzerne mit Sitz in der Schweiz aus ihrer Verantwortung stehlen, wenn ihre Tochtergesellschaften mithilfe von bestechlichen Regimes ganze Ländereien beim Rohstoffabbau vergiften und unbewohnbar machen, die Bauern vertreiben oder mit Bestechungen die Korruptionsstruktur verstärken.

Diese zwei Initiativen sind seit dem UNO-Beitrittsbegehren das wichtigste globalpolitische Programm für die schweizerische Aussenpolitik. Der bürgerliche Reflex ist natürlich spontane Abwehr mit Berufung auf das Weniger-Staat-Dogma. In einem Teil des Bürgertums fehlt ein Unrechtsbewusstsein gegenüber der exportierten Wirtschaftskriminalität und Korruptionskultur. Es fehlt das Sensorium für eine globale Ethik und für die globalisierte Zukunft der Schweiz.

Vor 30 Jahren wurde die Bankeninitiative (1979–1984), die einen behutsamen Anlauf gegen die internationale Steuerflucht anstrebte, mit einer zuvor nie erlebten Propagandamaschinerie der Banken abgeschmettert. Der Schweiz und ihren Banken wäre seither immenser Schaden erspart geblieben, wenn man damals schon Dämme gegen die Steuerflucht errichtet hätte.

Die beiden aussenpolitischen Initiativen geben uns die Chance, selber eine Schadensminderung zugunsten der Generation nach uns anzustreben und aus eigner Kraft Ordnung im Stall zu schaffen, bevor uns das Ausland erneut dazu zwingt.

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