Haben wir eigentlich ein Euro-Problem oder ein Franken-Problem?

UnternehmerZeitung Nr. 7 / 8.   Kolumne Strahm   27.6.2011

Haben wir eigentlich ein Euro-Problem oder ein Franken-Problem?

Alle sprechen von der Krise des Euro. Und oft hört es sich so an, als würden wir aus der heilen Alpen-Schweiz mit unserem granitharten Schweizer Franken auf die bedauernswerten Euro-Bürger hinunterschauen.

Unglaublich, wie im Finanzmarkt-Journalismus mit der Sprache manipuliert und getäuscht wird. Die Finanzpresse und die journalistischen Nachbeter reden ständig von der „Eurokrise“.  Die Finanzmarktjournalisten fragen am morgen den hochnervösen Währungstrader XY in der Bank Z und am Nachmittag setzen sie das Gehörte mit der gleichen Wortwahl in ein Krisenlamento um.

Das Schweizer Fernsehen zum Beispiel spricht in allen Sendegefässen mit hartnäckiger Inkompetenz vom „Euro-Zerfall“ und von der „Euro-Abwertung“. Und jene EU- und Euro-Gegner, die es schon immer besser gewusst haben wollen, plakatieren mit Häme die „Krise“ der europäischen Währung.

Für die Frankenstärke, die für unsere Exportwirtschaft langsam unheimlich wird, gibt man im Finanzjournalismus den Europäern die Schuld. Dabei ist das Problem des angeblichen „Wertzerfalls“ des Euro im Grunde ein Problem der Aufwertung des Schweizer Frankens. Denn der Franken ist gegenüber allen wichtigen Währungen der Weltwirtschaft wertmässig gestiegen, respektive alle andern Währungen sind gegenüber dem Franken schwächer geworden:

Vor zehn Jahren wurde ein amerikanischer Dollar in der Schweiz  mit 1.70 Franken verrechnet. Heute noch mit 85 Rappen, genau der Hälfte.

Vor zehn Jahren war ein Euro bei der Einführung 1.50 Franken und heute ist er noch 1.20 Franken oder etwas darunter.

Vor zehn Jahren kostete ein britisches Pfund 2.40, heute 1.40 Franken.

Vor zehn Jahren waren 100 japanische Yen rund 1.40, heute noch 1.10 Franken.

Vor zehn Jahren wurden für eine Einheit Sonderziehungsrechte SZR für 2.15 Schweizer Franken und heute nur noch 1.40 verrechnet.

Gegenüber allen wichtigen Währungen der Welt hat sich der Wert des Schweizer Frankens erhöht. Aber auch der Euro, dem derzeit eine Schwäche nachgesagt wird, hat sich gegenüber den wichtigsten Aussenwährungen nicht abgewertet worden, sondern ist teurer geworden:

Vor zehn Jahren war ein Euro etwa 0.90 amerikanische Dollar wert, heute etwa 1.40 Dollar. Ganz klar eine Aufwertung.

Die jüngste Anpassung des Euro nach unten war eine erwünschte Berichtigung und Korrektur an den vorangehenden Wertverlustschub des Dollars, – und vermutlich auch eine gezielte Reaktion auf die staatlich manipulierte Tiefhaltung der chinesischen Währung.

Bei allem Krisengerede über den Euro: Für die europäische Industrie konnte nichts Besseres passieren als diese relative Euro-Korrektur nach unten. Denn dies erleichtert ihre Exporte in den Dollarraum. Die deutsche und französische Autoindustrie ist dank dieses Exportschubs wieder voll ausgelastet, ja, sie verpflichten ihre Arbeitnehmenden sogar zu Überzeit. Finanzmarktoptik ist eben nicht gleich Realwirtschaftsoptik.

Das sogenannte Europroblem ist eigentlich unser Frankenproblem! Und die angebliche „Euro-Krise“ könnte bald zu einer „Franken-Krise“ werden, verursacht oder verstärkt durch spekulative Entwicklungen der Finanzmärkte.

Die Banken lieben es nicht, wenn man von Währungsspekulation spricht. Aber wenn man die Währungstransaktionen analysiert, stellt man fest, dass die kurzfristigen Währungsbewegungen und die Termingeschäfte mit dem Franken täglich ein Fünfzig- bis Hundertfaches dessen ausmachen, was die handelsinduzierten Transaktionen und die Zuflüsse von Langfristdepositen auf den Bankplatz Schweiz zusammen umfassen. Die kurzfristigen spekulativen Transaktionen – die laufen heute kurzfristig ab bis zum informatisierten Sekundentrading – dominieren die Währungsverhältnisse immer mehr. Auch Schweizer Grossbanken beteiligen sich daran und verdienen mit.

Jetzt beginnt der hohe Frankenkurs bei manchen Betrieben seine Spuren zu hinterlassen. Kurzfristig konnte die Frankenaufwertung noch verkraftet werden. Doch jetzt tut es vielen Firmen weh. Die MEM-Branche meldet, dass bereits ein Viertel der Exportbetriebe derzeit defizitär exportieren müssen.

Immer, wenn sich Krisen abzeichnen gibt es Heiler, Gesundbeter und viele Rettungsvorschläge. Die bisherigen Vorschläge waren eher hilflos. Etwa der Vorschlag von Bundesrat Johann Schneider-Ammann, die 22 neuen Kampfjets für 6 Milliarden Bundesfranken vorgezogen zu beschaffen, um Kompensationsgeschäfte im Ausland für die Maschinenindustrie auszulösen. Was allerdings frühestens 2015 greifen würde.

Eine Schnapsidee ist auch der Vorschlag von SwissMEM-Präsident Hans Hess, der Exportindustrie die Mehrwertsteuer zu erlassen. Denn ausgerechnet die Exporteure können beim Export die Mehrwertsteuer respektive sämtliche Vorsteuern zurückfordern. Mit der sogenannten „Mehrwertsteuerbefreiung“ würden womöglich die Vorsteuern sogar bei den Exportfirmen hängen bleiben.

Auch die andern Forderungen nach Steuersenkungen sind ungeeignet, weil sie nach dem Giesskannenprinzip wirken und den wirklich Betroffen kaum Hilfe leisten. Da würde der Mitnahmeeffekt, den die Neoliberalen immer ins Feld führen, voll zuschlagen.

Eine Wiedereinführung der Währungsrisiko-Deckung in der vom Bund garantierten Exportrisikogarantie wiederum wäre eine enorm teure Sache. Schon in den neunziger Jahren musste die Bundeskasse über eine Milliarde Franken Verluste aus der früheren Währungsrisikodeckung übernehmen.

Wahrscheinlich unrealistisch ist auch die Forderung, den Franken unilateral fest an den Euro zu binden. Denn wenn die Europäische Zentralbank nicht mitwirkt, werden die Fluten der Spekulation jeden Ankerwert zertrümmern.

Die realistischen Möglichkeiten der Wirtschaftspolitik sind enorm begrenzt. Den meisten Exportfirmen bleibt nur die Möglichkeit, weitere Innovationen und Spezialisierungen durchzuziehen, um sich mit hochpreisigen Spezialitäten auf den Weltmärkten weiter zu behaupten. Und vielleicht wird die Einsicht gestärkt werden, dass eine starke Regulierung und Bändigung der Finanzmärkte der ganzen Wirtschaft nützt.

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