Florierende Bauwirtschaft – wachsende Risiken für die Banken

Kolumne Rudolf Strahm in der Unternehmer-Zeitung Nr.9  vom August 2013.

 

Momentan verdienen alle viel Geld in der Bauwirtschaft. Doch wie steht es mit den Finanzierungsrisiken? Finanzieren die Banken rund um den Zürichsee, den Zugersee und den Genfersee oder in bestimmten Stadtquartieren bereits eine Liegenschaftsblase? Dazu gibt es gegenläufige Meinungen. Sogar die beiden zuständigen staatlichen Institutionen, die Schweizerische Nationalbank SNB und die Finanzmarktaufsicht FINMA, differieren in ihrer Risikoeinschätzung. Nur die SNB warnt. Wir versuchen, die Wirrnis zu beleuchten.

 

Tatsächlich, die Bauwirtschaft floriert, und in deren Schlepptau auch das Hypothekargeschäft der Banken. Um 4.6% sind letztes Jahr die Hypothekardarlehen in der Schweiz gestiegen, rund vier mal schneller als das BIP-Wachstum. Die Bankendarlehen im Hypothekenbereich erreichten Ende letztes Jahr 834 Milliarden Franken, wovon 710 Milliarden Festverzinsliche mit einem Zinsänderungsrisiko für die Bank. Diese Hypothekarschuld entspricht bereits dem 1,4-fachen des Bruttoinlandprodukts. Die Darlehen von Versicherungen und Pensionskassen kommen noch hinzu.

 

Neuhypotheken als Klumpenrisiken

Für die Banken sind die Hypothekar-Ausleihungen nicht das grösste Risiko; – Investment-Banking, Eigenhandel, Termingeschäfte sind viel risikoreicher. Aber für das schweizerische Bankensystem bilden die hohen Zuwächse der Hypothekardarlehen der letzten Jahre ein systemisches Klumpenrisiko. Was würde passieren, wenn die Hypothekarzinsen rasch anstiegen?  Schon bei einer generellen Anhebung auf 3 Prozent würden schätzungsweise ein Sechstel der Darlehen notleidend oder bedienungskritisch, bei einem Anstieg auf 4 Prozent mehr als doppelt so viele.

Nach allen bisherigen Erfahrungen sind nicht die Mietwohnungen bei Zinssprüngen risikobehaftet. Das bestehende Mietrecht stabilisiert den Markt, weil es Mietzinserhöhungen dämpft und Mietzinssenkung nicht sofort erzwingt. Herrschte eine Marktmiete wäre der Mietwohnungsmarkt volatiler und krisenanfälliger. Krisenanfällig und durch einen Preiszusammenbruch echt gefährdet sind jene Segmente, wo der Marktpreis dominiert: Bei den neuen oder neu erworbenen Einfamilienhäusern, bei Villen und Eigentumswohnungen und vor allem bei den Geschäftsliegenschaften.

 

In und um Zürich sind heute zehntausende von Quadratmetern Geschäftsfläche in Büro- und Gewerbebauten nicht vermietet. Gefährdet sind auch die Immobiliengesellschaften, die sich allerdings durch Verbriefung, also durch Ausgabe von Aktien und Risikopieren, abgesichert haben. Hoffen wir, dass die Pensionskassen nicht in grossem Stil in solche Anlagen geflüchtet sind. Statt den bequemsten Weg mit dem Kauf von Immobilienaktien würden sie besser direkt in Wohnüberbauungen investieren.

 

Fehlende Eigenmittel bei Grossbanken

Das Schwergewicht der Klumpenrisiken liegt bei einigen Kreditbanken, bedingt durch die immer noch tiefe Eigenkapitalunterlegung. Im Falle eines massiven Preissturzes im Liegenschaftsmarkt vermöchte der vom Bundesrat zusätzlich vorgeschriebene Kapitalpuffer von bloss einem Prozent nicht viel aufzufangen. Ich halte die Gefahr von massiven Abschreibern bei Hypothekardarlehen im Falle einer Zinsanhebung und eines Preissturzes von Liegenschaften für real.

 

Während einheimische Kreditbanken einigermassen gut mit Eigenmitteln gepuffert dastehen, sind die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse mit einer absoluten Eigenkapitalquote von bloss je 2,3% ihrer Bilanzsummen schlecht abgesichert. Die Eigenkapitalunterlegung ist „mit 2,3% tatsächlich noch unverschämt tief“, schrieb der sonst bankenfreundliche Martin Lanz in der NZZ.

 

Unsere Bankenaufsicht ist bezüglich der Systemrisiken ungenügend und die Banken betreiben mit der Eigenkapitalquote regelrechte Spiegelfechterei. Die UBS rühmt sich, im zweiten Quartal 2013 eine „BIZ-harte Kernkapitalquote gemäss Basel III“ bei vollständiger Umsetzung von 11,2 Prozent aufzuweisen. Doch man muss wissen: Es handelt sich um Eigenmittel von 11,2% der sogenannt „risikogewichteten“ Aktiven.

 

Das muss man erklären: Die Bankausleihungen werden je nach Risikobewertung gewichtet. Gemäss Eigenmittelverordnung müssen zum Beispiel 100 Franken Hypothekardarlehen für Wohnbauten nur mit 35 Franken in die Quotenberechnung eingesetzt werden. Die Grossbanken dürfen gemäss FINMA sogar ein eigenes Risikomodell anwenden und noch viel tiefer gehen. Die Risikogewichtung ist eine Ermessensfrage, ja, sie ist eine Manipulationsgrösse. Grossbanken können mit der risikogewichteten Eigenkapitalquote gewissermassen einen Bluff hinlegen, indem sie die Aktiven sicherer bewerten.

 

Vor dieser Manipulation warnen heute internationale Finanzexperten. Die Finanzmarktaufsicht beschwichtigt uns in einem Brief vom 8. August 2013 mit dem Satz: „Die FINMA hat dieses Differenzen erkannt und entsprechende Gegenmassnahmen eingeleitet.“ Immer nur dann, wenn der Druck von den Medien kommt, reagiert die Finanzmarktaufsicht.

 

Im Gegensatz zur FINMA warnt die SNB seit langem vor einer Preisblase bei Liegenschaften und vor Bankverlusten. Sie hat ein anders gelagertes Interesse: Sie möchte sich den Spielraum für spätere Zinserhöhungen und für eine „Normalisierung“ des Zinsniveaus bewahren, ohne massive Verluste bei den Kreditinstituten zu provozieren.

 

Nochmals über die Bücher

Zwei Jahre nach der Inkraftsetzung der „Too big to fail“-Vorlage, die mehr Eigenmittel und mehr Stabilität im Bankensystem bringen sollte, stehen wir vor einem erneuten Revisionsbedarf: Die systemischen Risiken der Grossbanken sind zu gross, die Eigenmittelvorschriften zu large und zu manipulationsanfällig, das System ist nicht stabil. In allen Staaten mit gewichtigen Finanzplätzen – USA, Grossbritannien, Japan, Euro-Zone – haben die Notenbanken als Währungsbehörden die makroprudentielle Überwachung des Bankensystems und der Eigenmittel übernommen, einzig in der Schweiz bleibt die entscheidschwache und bankenhörige FINMA mit ihrem Miliz-Verwaltungsrat dafür zuständig.

 

Der damalige Präsident der Vorbereitungsgruppe der „Too big to fail“-Vorlage, Peter Siegenthaler, hatte jetzt die Grösse, die Mängel „seines“ Projekts einzugestehen. Er gestand kürzlich: „Wenn man das nackte Verhältnis zwischen Eigenmitteln und Bilanzsumme anschaut, stehen andere Banken besser da als UBS und CS. Wir müssen nochmals über die Bücher.“

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