Kolumne im Tagesanzeiger/Bund vom Dienstag, 1. Oktober 2013
In den nächsten Tagen wird im Bundeshaus eine eidgenössische Volksinitiative «für ein bedingungsloses Grundeinkommen» eingereicht werden. Sie solle «zur Befreiung der Schweiz» führen, wie uns die Initianten ankünden.
Mit der Initiative soll jedem Einwohner der Schweiz, auch niedergelassenen Ausländern, ab 18 Jahre bedingungslos eine lebenslängliche Rente des Staates bezahlt werden. «Bedingungslos» heisst, ohne Gegenleistung, ohne Arbeitspflicht, ohne Ausbildungsanforderung. Nach Vorstellung der Initianten soll diese Staatsrente 2500 Franken pro Monat für jede erwachsene Person und ein Viertel davon für jedes Kind und jeden Jugendlichen betragen und damit alle andern Sozialleistungen ersetzen.
Dieses «bedingungslose Grundeinkommen » für alle ist nicht mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu verwechseln, den die Gewerkschaften einfordern. Ein gesetzlicher Mindestlohn für jene, die arbeiten, ist gerecht und bremst die zunehmende Rekrutierung von Billigstarbeitern im Ausland. Das bedingungslose Einkommen jedoch soll laut Volksinitiative an alle ausbezahlt werden, mit und ohne Arbeitsleistung.
Auf den ersten Blick übt die Vision eines bedingungslosen Grundeinkommens bei Kulturschaffenden, Künstlern, kirchlichen Kreisen, die nach einem gerechten Gesellschaftssystem suchen, auch bei Alternativen und Grünen eine grosse Faszination aus. Es verspricht eine Antwort auf der Suche nach Selbstverwirklichung und einer menschengerechten Versorgung aller – eben einer «Befreiung der Schweiz» von arbeitslastiger Mühsal.
Das bedingungslose Einkommen steht also einerseits für die Vision einer Gesellschaft mit einer Möglichkeit zur Selbstverwirklichung für alle. Anderseits steckt dahinter aber eine gewisse Geringschätzung der Arbeit. Arbeiten ist nicht bloss Entfremdung, wie es die Initianten konstruieren, sondern gerade in unserem arbeitsorientierten Wertsystem auch Erfüllung, Befriedigung und Wertschätzung des eigenen Tuns.
Was mich an dieser Vision und an diesem Menschenbild stört, ist die bedingungslose Staatsrente für alle schon ab 18 Jahren. Eine Form von Grundeinkommenssicherung etwa für ältere Menschen könnte ich mir vorstellen, weil immer mehr vor dem Ende ihres Arbeitslebens wegen der Personenfreizügigkeit aus dem Arbeitsmarkt hinaus gedrängt werden. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem unsere Kinder und Kindeskinder schon in ihrer Jugend ohne Eigenverantwortung und ohne Ausbildungspflichten mit der Sicherheit einer Staatsrente aufwachsen. In diesem Sinn ist aus einer ideellen Vision ein verkorkstes Initiativkonstrukt entstanden. Sozialethisch lässt sich ein solches Modell nicht rechtfertigen.
Völlig abenteuerlich ist die Vorstellung der Initianten bezüglich Ökonomie und Finanzierung. Die Leistungen gemäss Initianten würden rund 200 Milliarden Franken öffentliche Gelder pro Jahr beanspruchen – dies entspricht einem Drittel des Bruttoinladprodukts. Alle Sozialwerke inklusive Pensionskassen der Schweiz zahlen jährlich insgesamt etwa 140 Milliarden Franken an Sozialleistungen aus. Die Zusatzfinanzierung würde demnach zusätzliche 22 Mehrwertsteuerprozente erfordern, unter Auslassung der Pensionskassen wären es zusätzliche 40 Mehrwertsteuerprozente (ein Prozent ergibt 2,7 Milliarden Einnahmen). Wohlverstanden, zusätzlich zu den heutigen Steuern und Lohnprozenten. Eine solche Umverteilungsmaschinerie würde hauptsächlich von jenen gespiesen, die die Staatsrente wiederum beziehen.
Nach Vorstellung der Initianten könnten dann die bisherigen Leistungen für AHV, IV, Krankenversicherung, Sozialhilfe und so weiter wegfallen. Eine solche Durchschnittsrechnung ist völlig unzulässig, denn in der Schweiz gibt es mehr als 100 000 pflege- und betreuungsbedürftige, chronischkranke und schwerstbehinderte Menschen, deren Heimbetreuung oder Pflege 100 000 Franken pro Jahr oder mehr kosten. Wollen die Initianten diesen echt Pflegebedürftigen nur noch 2500 Franken zukommen lassen?
Der Initiant Daniel Straub führt seine abenteuerliche Rechnung weiter, indem er annimmt, dass die Löhne linear für alle um die Monatszahlungen von 2500 Franken der staatlichen Grundeinkommens gesenkt würden. Die Produzentenpreise müssten nach seiner Milchbüchleinrechnung auch entsprechend sinken. Doch die Preise aller Warenimporte im Umfang von 200 Milliarden Franken jährlich würden bestimmt nicht gesenkt werden. In diesem Sinne verkörpert das Volksbegehren die Utopie einer Robinsoninsel-Wirtschaft, die weder Importe noch Zuwanderung kennt.
Die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen verkörpert nicht ein soziales Anliegen. Das Konzept ist vielmehr gegen den Sozialstaat gerichtet. Einer der Väter ist der Neoliberale Milton Friedman, der mit einer staatlichen Existenzminimum- Tiefstrente für alle den Sozialstaat zurückbinden wollte.
Die Initianten haben allerdings berechtigterweise einen Schwachpunkt des heutigen Sozialsystems aufgegriffen, und damit locker Unterschriften erhalten: nämlich die Zersplitterung des heutigen Systems, mit verschiedenen Kassen und Betreuungsdiensten der AHV und IV, der Arbeitslosenversicherung, der Sozialhilfe, der über 80 Kranken- und Unfallkassen und erst noch 2200 Pensionskassen. Wir plädieren seit langem für eine verstärkte interinstitutionelle Zusammenarbeit. Die historisch gewachsenen Finanzierungssysteme der Sozialversicherungen lassen sich nicht einfach zusammenlegen. Aber es wäre längst fällig, für den Publikumsverkehr alle Anlauf-, Beratungs- und Betreuungsinstanzen der Sozialpolitik unter einem Dach zusammenzubringen.
Ich befürchte, das Volksbegehren ist so wenig durchdacht und so chancenlos, es wird nicht einmal dazu führen, über eine intensivere interinstitutionelle Zusammenarbeit der verschiedenen Sozialversicherungszweige und Sozialinstitutionen nachzudenken.
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