Kolumne in Tages-Anzeiger und Bund vom 9. 10. 2018
Im Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) gibt es einiges zu tun. Das sind die grössten Herausforderungen.
Kaum lagen die Rücktritte des pflichtbewussten, aber etwas glücklosen Johann Schneider-Ammann und der erfolgreichen Doris Leuthard auf dem Tisch, begann das journalistische Werweissen um deren Nachfolge.
Es sind nicht die bestinformierten Medienleute, die sich jeweils mit Zitaten von parlamentarischen Hinterbänklern und mit personalpolitischem Schattenboxen in Szene setzen. Wer in der Berner Bundeshausmechanik wirklich Einfluss ausübt, schweigt sich aus.
Unabhängig von personellen Planspielen will ich hier den politischen Inhalten nachgehen: Was sind denn die kommenden Aufgaben der neuen Departementschefs? Die Analyse des zukünftigen Handlungsbedarfs fokussiere ich auf das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF), das ich sowohl als Insider wie auch aus meiner langjährigen parlamentarischen Erfahrung kenne.
Die gescheiterte Kartellgesetz-Reform, die Bundesrat Schneider-Ammann 2012 präsentierte und die zwei Jahre später im Parlament einen Totalabsturz erlebte, war die wichtigste innenpolitische Wirtschaftsvorlage in seinen acht Amtsjahren. Seit diesem durch Führungsmängel verursachten Betriebsunfall hat sich durch das Laisser-faire die wettbewerbliche Missbildung in der Hochpreisinsel Schweiz noch verschärft: Jährlich zahlen Konsumenten und Gewerbebetriebe für ihre Importprodukte 15 bis 20 Milliarden Franken mehr ans Ausland wegen der Schweiz-Zuschläge der ausländischen Lieferanten. Ein Einkaufstourismus über die Grenze von 11 Milliarden pro Jahr konnte sich etablieren. Diese marktwirtschaftliche Missbildung ist an sich ein Dauerskandal und ein Schaden für den Wirtschaftsstandort Schweiz.
Der neue Departementschef oder die -chefin wird die Kartellgesetz-Revision wieder aufgreifen müssen, zumal das Gewerbe und die Konsumenten jetzt mit der Fair-Preis-Initiative Druck machen.
Der oder die Nachfolger/in im WBF wird sich mit der mühsamen und von mächtigen Lobbys behinderten Landwirtschaftsreform beschäftigen müssen. Schon Doris Leuthard tat sich im WBF schwer damit. Die längst fälligen Reformen – etwa Strukturbereinigung, Pestizidreduktion, sorgfältige Marktöffnung – kann nur ein Departementschef in Angriff nehmen, der selber und dessen Partei nicht mit der mächtigen, egoistischen Agrarlobby verbandelt und von ihr nicht abhängig ist. Der Freisinn hat diese Chance in diesen acht Jahren nicht wahrgenommen.
Ein Erfolg der Ära von Johann Schneider-Ammann war sicher das historische Freihandelsabkommen mit China, das allerdings bisher kaum Fortschritte brachte. Die gegenwärtige Stagnation der Freihandelspolitik (etwa mit Mercosur, Malaysia, Indien) ist allerdings nicht Schneider-Ammann als vielmehr den generellen Widerständen gegen die neoliberale Globalisierung zuzuschreiben. Neue Freihandelsverträge wird es in nächster Zeit nur noch geben, wenn sie ökologisch und sozial flankiert werden. Das WBF und besonders das Seco haben in dieser Beziehung viel dazuzulernen.
Johann Schneider-Ammann kommt als grosses Verdienst zu, die Berufsbildung aufgewertet und hoffähig gemacht zu haben. Allerdings besteht jetzt neuer Handlungsbedarf – etwa in der Weiterentwicklung der Berufsbildung in Richtung digitale Wirtschaft und der längst fälligen Aufwertung der Titelgestaltung bei der höheren Berufsbildung. Auch das neue Weiterbildungsgesetz – seit Anfang 2017 in Kraft – blieb bisher toter Buchstabe.
Der grosse bevorstehende Handlungsbedarf des WBF liegt aber im Hochschulbereich: Das Organisationsmonster aufgrund des Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetzes (HFKG) – schon der Name sagt es – mit zahlreichen Gremien, zwei Sekretariaten, bürokratischen Wasserköpfen und vielen Mitspielern ist schwer steuerbar. Das Gesetz sieht vor, dass der WBF-Chef den Hochschulrat präsidiert, dies allerdings mit 14 Gegenspielern (Regierungsräten) aus den Kantonen. Bezüglich Führung, Fachkräfteproblematik, Hochschulkoordination braucht es nun eine starke «Leadership». Die letzten sieben Jahre uninspirierte Verwaltung des SBFI unter Mauro Dell’Ambrogio waren sieben verlorene Jahre.
Seco mit schwacher Führung
Die grösste Herausforderung im WBF ist gewiss die Personalpolitik. Der WBF-Generalsekretär hat im Departement und in der Bundesverwaltung, ja sogar in der FDP-Fraktion, den Ruf eines Intriganten. Beim Streit mit dem Bauernverbands- und dem Gewerkschaftsbund-Präsidenten spielte er seine Rolle.
Das Seco mit rund 450 Mitarbeitenden und fünf Direktionen ist ein bürokratischer Komplex mit einer schwachen Führung. Die seinerzeitige Zusammenführung des Bundesamts für Aussenwirtschaft (Bawi) mit dem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Biga) ist vor 20 Jahren im Bundesrat mit einem 4-zu-3-Entscheid nur knapp zustande gekommen. Seither sind ehemalige hohe Funktionäre des Volkswirtschaftsdepartements und wichtige Verbandsvertreter der Meinung, das Seco müsste wieder aufgeteilt und so effizienter werden. Die heutige Seco-Direktion für Arbeit hat bei den anstehenden Problemen wie Fachkräfte-Initiative, Arbeitnehmer 50+ schlicht versagt. Auch die aufgeblähte Seco-Direktion für Wirtschaftspolitik, in der Verwaltung als «Ideologieabteilung» verhöhnt, liesse sich ohne Schaden halbieren oder aufteilen. Personal- und Reorganisationsentscheide brauchen erfahrungsgemäss viel Energie und Kraft eines Departementschefs. Der Neuanfang mit einer neuen Führungspersönlichkeit bringt neue Chancen.