Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 19. Mai 2015
Anfang Mai verfolgten Millionen von Fernsehzuschauern den Jahrhundert- Boxkampf der Superlative zwischen Mayweather und Pacquiao um den teuersten Boxweltmeistertitel der Geschichte, ausgetragen in Las Vegas, übertragen nur von privaten Fernsehanstalten. Wer in den USA das Spektakel verfolgen wollte, musste über Pay-per-View-Fernsehen allein für diesen Match 100 Dollar bezahlen. Wo man kein öffentlich-rechtliches Fernsehen kennt, sind grosse Sportevents üblicherweise nur über Bezahlfernsehen zu haben.
Eine derartige kommerzielle Medienordnung will der rechtsfreisinnige Nationalrat Christian Wasserfallen für die Schweiz. In seinen Medienthesen zur Demontage der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) fordert er, dass «spannende Spiele der Champions League oder Unterhaltungssendungen wie ‹Voice of Switzerland› oder ‹Supertalente›» den privaten Fernsehsendern überlassen werden.
Hätte der staatsfeindliche SRG-Gegner auch nur die leiseste Ahnung von Medienökonomie, müsste er wissen, dass sich Grossanlässe und Mega-Unterhaltungssendungen von Privatsendern nur über Pay-TV oder durch Unterbrecherwerbung mit 20 bis 30 Prozent Werbezeitanteil finanzieren lassen.
Der Abstimmungskampf gegen die Revision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) ist längst nicht mehr eine rationale Entscheidung über den fälligen Systemwechsel von der bisherigen, bürokratischen Billag- Gebühr zu einer allgemeinen Medienabgabe. Bloss von der Kostenseite betrachtet, wird die vom Parlament vorgesehene allgemeine Haushaltabgabe von 400 Franken nämlich für alle günstiger als die bisherige Billag-Gebühr von 462 Franken. Für Ergänzungsleistungsbezüger AHV/IV und Heimbewohner, aber auch für 75 Prozent aller KMU bringt sie sogar eine vollständige Abgabebefreiung. Erst ab 500 000 Franken Firmenumsatz sind 400 Franken vorgesehen. Seit 1995 sind die Radio- und TV-Gebühren nur gerade um die Teuerung angehoben worden. Die Propaganda des Gewerbeverbands, die «neue Radio- und Fernsehsteuer » werde auf 1000 Franken steigen, ist schlicht gelogen. Doch Lügen ist in einem Abstimmungskampf nicht verboten. Weit entfernt von dieser technischen Frage hat sich nun eine andere Gegnerschaft gegen die RTVG-Revision aufgebaut. Sie hat ein ganz anderes Ziel – und eine versteckte Agenda. Sie stellt nämlich den Service public der SRG grundsätzlich infrage. Verschwiegener Hintergrund ist der seit langem schwelende Machtkampf von privaten Verlegern mit der SRG.
Einige Verleger wollen mit der RTVG-Ablehnung ein Vordringen der SRG-Werbung in die Onlinemedien blockieren. Dabei hat das Departement von Bundesrätin Doris Leuthard der SRG die Onlinewerbung bereits verboten, um die privaten Verlage vor der SRG-Konkurrenz zu schützen.
An sich machen die privaten Verleger die SRG verantwortlich für ihr eigenes Problem, nämlich ihre späte Umstellung auf neue Technologien und auf die wachsende Onlineleserschaft, die keine Zeitungen mehr kauft. Auffallend offensiv gegen die SRG sind die Kommentare der «Neuen Zürcher Zeitung» inklusive Sonntagsausgabe, die keinen guten Faden mehr am öffentlich-rechtlichen Fernsehen finden. Von allen grossen Medienhäusern ist nämlich die NZZ-Gruppe wirtschaftlich am stärksten in Bedrängnis, weil sie den Trend zur digitalen Vielfalt verschlafen hat. Jetzt nutzt sie die Chance zur Schwächung der öffentlich-rechtlichen SRG.
Aggressiv kämpfen auch die Blocher- Medien «Basler Zeitung», «Weltwoche» und einzelne Privatsender gegen die SRG. Strategisches Ziel des SRGBashings ist nicht deren Verbesserung, sondern die Demontage und langfristig ihre Aufspaltung und Filetierung als öffentlich-rechtliche Anstalt. In Wartestellung stehen die bekannten, schwerreichen SVP-nahen Financiers Christoph Blocher, Tito Tettamanti, Walter Frey, Thomas Matter zur Einverleibung weiterer Medien bereit – den Tatbeweis dafür haben sie ja schon erbracht.
In Italien, Griechenland, Spanien wurde die Zerschlagung der öffentlichrechtlichen Medien vorexerziert: Was dort geblieben ist, ist die Berlusconisierung der Medienlandschaft mit kommerziellen Schrottsendern und einem Zerfall der politischen Kulturen.
Der Verwaltungsratspräsident der politisch einflussreichsten und bezüglich Qualitätsstandards führenden Mediengruppe, Pietro Supino von Tamedia, sorgt sich zu meinem Erstaunen um die Werbekonkurrenz durch die SRG. Das ist völlig unbegründet. Gerade seine Tamedia AG hat den technologischen Wandel in Richtung Onlineangebote und Onlinewerbung am effizientesten geschafft. Von der (heute ohnehin verbotenen) SRG-Onlinewerbung hätte sie nichts zu befürchten.
Der Verlegerkampf gegen eine starke SRG unterliegt meines Erachtens einer unternehmerischen Fehleinschätzung: Wenn nämlich die SRG als neutrale Festung der medialen Grundversorgung einmal nicht mehr ihre starke Stellung innehätte, würden alle andern Medien auch auf die schlüpfrige Ebene des Qualitätseinbruchs geraten. Das werbefreie Schweizer Radio SRF ist als Bastion der nationalen Grundversorgung bekanntlich bei der Bevölkerung das glaubwürdigste Medium. Ist die SRG einmal demontiert, lässt sich auch bei allen andern Medien der Qualitätsstandard nicht mehr halten.
Wo man die öffentlich-rechtlichen Anstalten demontierte, folgten alle privaten Sender und Printmedien dem Trend ins Seichte. Die Schweizer würden erst dann merken, welchen Wert für Demokratie und nationale Identität sie mit der Grundversorgung durch die SRG haben, wenn es sie nicht mehr gäbe!
Es gibt auch ein SRG-Bashing aus der linken elitären Kulturecke. Von Ständerätin Anita Fetz etwa oder vom Filmerpräsident Kaspar Kasics. Sie ärgern sich über die ihrer Ansicht nach seichten Unterhaltungssendungen und wollen der SRG einen «Schuss vor den Bug» verpassen. Sie öffnen aber nur der kommerziellen Schrottkultur die Tür. Der frühere Chefredaktor Peter Rothenbühler hat ihnen geantwortet: «Wenn man dem Schweizer Fernsehen die Mittel für die Produktion leichter Unterhaltung wegnimmt, wird das Schweizer Publikum einfach noch mehr ‹Unterhaltungsbrunz› aus dem fernen Ausland konsumieren.» Die Kritiker der SRG sind daran, ein Eigengoal zu schiessen.