Die Rentenschmelze

 

Wo liegen langfristig die echten Herausforderungen bei der Sicherung unserer Altersrenten?

Die Schweiz erlebte letzte Woche eine polarisierte, verkorkste und von Interessen geprägte Nationalratsdebatte zur Rentenreform 2020. Nun können wir innehalten und fragen: Wo liegen langfristig, jenseits des ideologischen Streits, die echten Herausforderungen bei der Sicherung unserer Altersrenten?

Die grossen Probleme liegen, objektiv beurteilt, bei der zweiten Säule. Sie sind viel gewichtiger und komplexer als die nötige Nachfinanzierung der AHV. Diese liesse sich bei gutem Willen mit einem zusätzlichen Mehrwertsteuerprozent im nächsten Jahrzehnt locker an das längere Lebensalter anpassen, und zwar ohne Erhöhung des Referenzrentenalters über 65 hinaus und ohne die Aktivgeneration überdurchschnittlich zu belasten.

Bei den Pensionskassen sind die Probleme objektiv vielschichtiger und interessengeladener: Sie haben erstens die historisch tiefen Zinserträge zu verkraften. Sie leiden zweitens unter den Sickerverlusten bei den Vermögensverwaltungs- und Verwaltungskosten. Und sie haben drittens die Folgen der Alterung der Bevölkerung zu finanzieren. Doch alles der Reihe nach.

Ein Siebtel Sickerverluste

Seinerzeit, als Pensionskassen mit 4 bis 6 Prozent Kapitalerträgen pro Jahr rechnen durften, schien die Welt der zweiten Säule in Ordnung. Heute aber können die Kassen nur noch mit 1,25 Prozent Mindestzinssatz rechnen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis der zweiten Säule ist massiv schlechter geworden. Die zweite Säule ist nicht überflüssig. Aber sie ist für die Versicherten und die Arbeitgeber heute viel teurer als die Rentenfinanzierung über die AHV.

Versicherten und Arbeitgebern ist meist nicht bewusst, dass bei den Pensionskassen im Durchschnitt fast jeder siebte Franken in der Vermögensverwaltung und der Kassenverwaltung ver­sickert. Die Banker, Anlageberater und Finanzprofessoren, die alle selber im Anlagebusiness tätig sind, schweigen sich aus über die Kosten.

Die Rechnung sieht so aus: Im Durchschnitt aller Pensionskassen betragen die Vermögensverwaltungskosten 0,42 Prozent des Anlagenkapitals (vor 2010 waren es sogar 0,55 Prozent). Sie vari- ieren stark, bei grossen Kassen sind sie deutlich tiefer. Bezogen auf die über 800 Milliarden Franken Pensionskassenkapital sind dies jährlich über 3,3 Milliarden Franken, welche bei Banken, Anlage- und Hedgefonds sowie Assetmanagern als Gebühren, Courtagen, Depotkosten, Stempel- steuern und weiteren Transaktionskosten ver- sickern. Hinzu kommen bei den rund 800 Pensionskassen noch 900 Millionen Franken an eigenen Verwaltungskosten. Die zusammengezählt 4,2 Milliarden Sickerverluste betragen rund ein Siebtel der jährlichen Renten- und Kapital­leistungen aller (teil-)autonomen Kassen!

«Pensionskassen brauchen kritische Kompetenz.»

Bei den Sammelstiftungen der zweiten Säule, die von der Privatassekuranz wie Swisslife, Zurich-Versicherungen etc. gewinnorientiert verwaltet sind, werden jährlich zusätzlich rund 600 Millionen Franken legal Gewinne abgezweigt. Der Bundesrat wollte deren Gewinnabschöpfung von 10 auf 8 Prozent reduzieren. Doch der Nationalrat in seiner neuen, rechtsbürgerlichen Zusammensetzung will ihnen nun wieder 10 Prozent legale Gewinnentnahme ermöglichen.

Warum beklagen alle die tiefen Zinsen und den zu hohen Umwandlungssatz, und niemand spricht über die Sickerkosten und das teure Preis-Leistungs-Verhältnis der zweiten Säule? Einfach, weil die «Experten» und Meinungsführer gleich auch die versteckten Nutzniesser der Pensionskassenanlagen sind! Man übernimmt die Rechnung zum Beispiel von Swisscanto, dem grössten Vermögensverwaltungsverbund. Oder man fragt den Finanzprofessor Martin Jansen der Universität Zürich, der selber die grosse Anlagenfirma Ecofin besitzt. Man fragt die Beratungsfirma PPC Metrics, die politisch im Bundeshaus einflussreich mitmischt und selber als grosser interessierter Assetmanager im Business mitverdient. Oder man fragt die Direktion des Pensionskassenverbands Asip, die mit den Banken verbandelt ist. Im Pensionskassenbusiness herrscht eine Täuschungskultur wie im Bankensektor vor der Krise. Bei der Berichterstattung wäre hier mehr journalistische Sorgfalt nötig.

Freilich gibt es einzelne Stimmen, die auch mal die Anlagekosten zum Thema machen, etwa die kleine Beratungsfirma C-Alm oder der NZZ-Finanzjournalist Michael Felder. Heute wirkt auch die Pensionskassen-Oberaufsicht OAK, die in der Folge der 2010 hoch verworfenen BVG-Vorlage die Transparenz der Kassen deutlich verbessert hat.

Alterung kostet

Aber auch heute noch fehlt eine standardisierte Kennziffer der Kosten, die einen echten Pensionskassenvergleich ermöglicht. Gefordert wird seit langem eine Vergleichsziffer der zusammengezählten Vermögensverwaltungs- und Verwaltungskosten in Franken pro Versicherten und Jahr oder in Prozenten des Anlagekapitals. Das zuständige Bundesamt BSV vernachlässigt die Kostenfrage; und Bundesrat Alain Berset hätte laut Gesetz längst die Kompetenz für eine solche Transparenzvorschrift für alle Kassen.

Die Neurentner müssen sich indes, bedingt durch das längere Lebensalter, auf eine tiefere Rentenauszahlung einstellen. Die Pensionskassenbeiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer an die zweite Säule werden je nach Kasse mehr oder weniger deutlich ansteigen. Ein Ausgleich der entstehenden Pensionskassen-Rentenverluste über die AHV käme unbestrittenermassen für alle klar billiger.

Was jetzt aber heimlich in der Pensionskassenszene passiert, ist brandgefährlich. Unter dem Eindruck der tiefen Zinserträge werben Hedgefonds-Anbieter, Assetmanager und Banker wieder vermehrt für die spekulativen Hedgefonds-Anlagen, die kurzfristig höhere Zinsen vorgaukeln. In Tagungen und Seminaren werden Pensionskassenverantwortliche wieder für hochriskante Anlagen wie vor 2008 geködert. Die sogenannten alternativen Anlagen, zu denen Hedgefonds, Rohstofffonds und ähnliche kostenintensive, hochspekulative Anlagen gehören, steigen wieder. Hedgefonds-Anlagen sind kurzfristig vielleicht ertragreicher, doch sie sind unkostenintensiver, risikobehafteter und gehören niemals ins Pensionskassengeschäft, das ja langfristig angelegt ist. PK-Anlagen in Hedgefonds sind geradezu verantwortungslos.

Auf kriminelle Art beraten

Die Pensionskassen haben sich nach 2000 von der Anlageberaterszene zu den Finanzmärkten treiben lassen. Oft unbeholfene Miliz-Stiftungsräte sind auf geradezu kriminelle Art beraten worden. Pensionskassen jedoch, die die Ver­mögen ihrer Versicherten in Wohnliegenschaften gesteckt hatten und dort beliessen, haben seit über zwei Jahrzehnten Jahr für Jahr einen Performance-Ertrag von 4 bis 6 Prozent erwirtschaftet. Sie haben heute die kleinsten Sorgen.

Pensionskassen sind eine Sozialversicherung mit gesetzlichem Pflichtsparen. Deshalb ist ein konsequenter Gesetzesschutz nötig. Aber zusätzlich sind Unabhängigkeit, kritische Kompetenz und charakterliche Integrität der Stiftungsräte der Pensionskassen der wichtigste Schlüsselfaktor für die Sicherheit unserer zukünftigen Renten.

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