Die Renditekiller der Pensionskassen

Inside Paradeplatz vom 22. Februar 2012

Die Privatversicherer mit ihren Vorsorge-Sammelstiftungen drängen den Bundesrat auf eine rasche Senkung des Umwandlungssatzes für BVG-Anlagen. Dies, obschon die BVG-Revision mit dessen Senkung vor erst zwei Jahren vom Volk mit 73% Nein-Stimmen haushoch abgelehnt worden ist.

Zahlreiche autonome Pensionskassen wiederum begehren eine erneute Senkung des Mindestzinssatzes im Rahmen des BVG-Obligatoriums. Begründet wird dies mit den schlechten Renditen der Kapitalanlagen.

Beide Anliegen sind aus der Interessenoptik der Kassen nicht unberechtigt. Doch niemand spricht von den Kosten der Vermögensverwaltung und der Administration von sage und schreibe 2270 Pensionskassen. Wer sagt schon, dass diese Kosten insgesamt ein Fünftel der jährlichen Rentenleistungen und Kapitalauszahlungen der Zweiten Säule versickern lassen? Über die heimlichen Renditekiller schweigt man in allen Landessprachen.

Bei den autonomen Pensionskassen, die als Stiftungen keine Gewinne abführen dürfen, versickern Jahr für Jahr enorme Summen für die Vermögensverwaltung und Verwaltung. Dank zwei im Jahr 2011 veröffentlichten Studien des Bundesamts für Sozialversicherung BSV (Forschungsbericht Nr. 3/11 des EDI/BSV) wissen wir mehr darüber: Insgesamt versickern jährlich Kosten von 5,7 Milliarden Franken aus den Pensionskassen: nämlich 3,9 Milliarden für die Vermögensverwaltung in Form von Bankengebühren, Courtagen, Management Fees, Stempelsteuern und Entschädigungen der externen Asset Manager. Die Sanierungsbeiträge durch zeitweilige Anlageverluste sind noch nicht mitgezählt. Und zusätzlich entstehen Verwaltungskosten und Beraterhonorare von 1,8 Milliarden bei über 2270 (viel zu vielen) Pensionskassenverwaltungen.

Wer hätte dies vor dem Vorliegen der Studien geahnt? Die 5,7 Milliarden Franken an jährlichen Vermögensverwaltungs- und Verwaltungskosten der autonomen Pensionskassen entsprechen rund 19% aller jährlichen Renten- und Kapitalauszahlungen aller Kassen. Jeder fünfte Rentenfranken versickert. Die Zweite Säule ist zu einem Selbstbedienungsladen des Anlagebusiness und der Beraterszene verkommen.

Nebenbei bemerkt, verursacht die Abrechnung der BVG-Beiträge den KMU dreimal höhere Administrativkosten als die Abrechnung der AHV-Prämien. Dies geht aus der vom Schweizerischen Gewerbeverband in Auftrag gegebenen “Messung” der Regulierungskosten vom Mai 2010 hervor.

Bereits vor der Veröffentlichung der Vermögensverwaltungs- und Verwaltungskostenstudien war das Misstrauen gegenüber der Pensionskassenszene vorhanden. Nun hat es sich mehr als bestätigt. Weder die Gewerkschafts- noch die Arbeitgebervertreter in der BVG-Kommission hatten den Anlagekosten die nötige Beachtung geschenkt. Man stritt lieber über ein Viertelprozent mehr oder weniger Mindestzinssatz. Im Vergleich dazu betragen allein die jährlichen Vermögensverwaltungskosten (ohne die Administrationskosten der Kassen) 0,7 Prozent der Kapitalanlagen. Diese Kosten sind Renditekiller der Pensionseinrichtungen.

Aus der Vermögensverwaltungsstudie des BSV ist nun bekannt, dass die 6% Hedgefonds-Anlagen der Pensionskassen rund ein Drittel aller Vermögensverwaltungskosten auffressen. Hedgefonds und Dachhedgefonds sind nicht nur extrem teuer und kostenintransparent. Sie sind auch extrem risikobehaftet, weil die Verluste bei Termingeschäften naturgemäss meist unwiederbringlich anfallen.

Im Jahr 2008 empfahl die eidgenössische BVG-Kommission die Erhöhung der Limite für Hedgefonds-Anlagen (sog. “alternative Anlagen”) auf 15% des Pensionskassenkapitals. Treibende Kraft dieser Erhöhung war eine mit Bankern erweiterte Subkommission unter dem Präsidium von Dominique Ammann, seines Zeichens Chef und Mitbegründer von PPCmetrics, der grössten Beratungs- und Asset-Management-Firma im Pensionskassenbereich. In seiner Doppelfunktion als Experte in der BVG-Kommission und als Beteiligter in den Anlagepraktiken spielte er eine zwiespältige Rolle.

Hedgefonds unterliegen in der Schweiz keiner Finanzmarktaufsicht und keiner Gewährsprüfung wie die Banken. Es gibt keine Eigenmittelvorschriften und nicht einmal eine Transparenzpflicht bezüglich Eigenkapital und Kosten.

Ein zusätzliches, in den parlamentarischen Beratungen wiederholt aufgegriffenes  Problem ist der ständige Ressourcenabfluss aus den bei den privaten Lebensversicherungsgesellschaften angegliederten BVG-Sammeleinrichtungen. Gegen den ursprünglichen Willen des Gesetzgebers wird die Gewinnentnahme (sog. Legal Quote) der Zweiten Säule jährlich auf 10% der Bruttoeinnahmen garantiert, nicht etwa auf 10% des Nettoertrags oder Gewinns. Diese 10% fliessen jährlich, ungeachtet von der Performance und der Fähigkeit der Versicherungsverantwortlichen. Jahr für Jahr werden dadurch 600 Millionen Franken Zweite-Säule-Gelder in die Konzernkassen der Privatassekuranz abgesogen – bei Swiss Life machte dies ein Drittel des Konzerngewinns aus.

Dank der erwähnten Kostenanalysen des BSV lässt sich rational über den zukünftigen Kurs diskutieren. Allerdings hat das BSV mit seinen Transparenzstudien und mit den Verordnungsentwürfen auch Argwohn bei Kassen und Vermögensverwaltern ausgelöst. Kostentransparenz ist im Vermögensverwaltungsbusiness naturgemäss nicht die höchste Wunschidee.

Im März 2010 ist die BVG-Revision mit 73% vom Volk verworfen worden. Auch eine grosse Mehrheit der KMU-Chefs und der bürgerlichen Wählerschaft hatte dagegen gestimmt. Den meisten Nein-Stimmenden ging es nicht um das hochtechnische Problem des Umwandlungssatzes, sondern um das mangelnde Vertrauen in die Anlagepolitik und in die Finanzmärkte, um die hohen Kosten und die Selbstbedienungspraxis der Beraterszene.

Vertrauen lässt sich nur herstellen, wenn (1) die Gewinnentnahme (Legal Quote) der Privatversicherungen neu geregelt wird, wenn (2) in Zukunft mit einer standardisierten Vergleichsgrösse für alle Kosten volle Transparenz und eine Vergleichsmöglichkeit für alle Pensionskassen hergestellt werden, wenn (3) spekulative Anlagen in Hedgefonds und andere strukturierte Produkte für Pensionskassengelder unterbunden werden, und wenn (4) die

sicheren, spekulationsfreien Anlagenlimiten für Liegenschaften wieder erhöht werden.

In Zukunft muss ein Reportingsystem für alle BVG-Einrichtungen etabliert werden, das einen Kostenvergleich ermöglicht. Als Kennziffer müssen alle Kostenelemente (also Verwaltungs- und Vermögensverwaltungskosten) als Totalkosten in Prozent des Pensionskasse-Kapitals oder in Prozent der Jahresleistungen der Kasse ausgewiesen werden. Ohne eine solche standardisierte Kennziffer ist ein Vergleich der Pensionskassen unmöglich.

Kostentransparenz ist naturgemäss in der Finanzbranche nicht beliebt. Weil es sich bei den Pensionskassengeldern aber um gesetzlich verordnete, zwangsersparte Kapitalen der Versicherten handelt, sind eine gesetzliche Transparenzpflicht zwingend und Anlagelimiten legitim. Politisch liegt der Ball jetzt beim Bundesrat, vor allem beim neuen Chef des EDI.

Erste Priorität für die BVG-Anlagen hat die Herstellung einer Kostentransparenz. Damit werden auch die Sickerlöcher und Renditekiller bei der Zweiten Säule manifest. Diese sind zu reduzieren, bevor man über den Umwandlungssatz und die Mindestzinssätze neue Regeln einführt. Das Vertrauensproblem muss als erstes gelöst werden.

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