Kolumne im Tagesanzeiger/Bund vom Dienstag, 25. Oktober 2016
Eigentlich ist es ein Dauerskandal. Einen Sommer lang besetzte das Thema vor Jahren die Schlagzeilen. Danach wurde es still, und jetzt hat man sich an den Missstand gewöhnt.
Man nimmt einfach hin, dass Schweizer Detailhandelsunternehmen und KMU-Inhaber für die importierten Markenartikel und Importlieferungen schätzungsweise 15 Milliarden Franken mehr an ausländische Hersteller bezahlen als die Detailhandelsketten im Ausland. Man nimmt in Kauf, dass Schweizer Konsumenten zum Einkaufen ins Ausland reisen und dort jährlich 10 bis 12 Milliarden Franken ausgeben. Dem inländischen Detailhandel werden durch den Einkaufstourismus 3 Milliarden Wertschöpfung und eine entsprechende Zahl von Arbeitsplätzen entzogen.
Immer wieder wird der Vorwurf des «Landesverrats» gegen jene Einkaufstouristen geschleudert, die im grenznahen Ausland – sei es aus sozialen Gründen oder aus Schnäppchenspielerei – Haushaltskosten einsparen. Dieses Konsumenten-Bashing ist fehl am Platz. Wer im Ausland einkauft, nutzt nur seine Rechte als Konsument.
Die grossen Konzerne haben die Hochpreisinsel längst umschifft, indem sie ihre Einkäufe über ihre ausländischen Töchter abwickeln. Aber kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind neben den Haushaltkonsumenten die echt Bestraften: Sie können nicht für jedes Werkzeug und jedes Ersatzteil ins Ausland reisen. Sie sind auf die Alleinimporteure angewiesen, die ebendiese Lieferungen nur mit dem üblichen Schweiz-Zuschlag von 30 bis 60 Prozent oder mehr vom ausländischen Lieferanten beziehen. Es ist nicht verwunderlich, dass jetzt die gewerbliche KMU-Wirtschaft zusammen mit den Konsumenten eine Volksinitiative lanciert.
Die höheren Schweizer Preise von Importprodukten entstehen nicht wegen der höheren Schweizer Löhne im Detailhandel, sondern weil die ausländischen Lieferanten und Markenartikelkonzerne die Direktbelieferung aus dem Ausland zu ausländischen Konditionen verweigern. Ihre Produkte werden nur über ihre Schweizer Verkaufsfilialen oder über Alleinimporteure teurer an Schweizer Detailhändler ausgeliefert. Der Nivea-Konzern Beiersdorf beliefert Migros, Coop und Denner nur über seine Auslieferungsfiliale in Münchenstein BL, und dies zu 30 bis 60 Prozent höheren Preisen. Kosmetika, Zeitschriften, Spielzeuge, Sportartikel für den Detailhandel sind ebenso überteuert wie Druckmaschinen, Druckplatten, Laborgeräte, Ersatzteile und Werkzeuge für die KMU-Wirtschaft.
Die Verweigerung der Direktbelieferung der Schweiz ist ganz klar eine Verletzung des Wettbewerbs, eine Diskriminierung durch selektive Vertriebsverträge. Nach schweizerischem Kartellgesetz wäre dies verboten. Die Wettbewerbskommission (Weko) ist bezüglich dieser vertikalen Lieferbindungen, abgesehen von einigen wenigen Entscheiden (jüngst zum Fall Elmex), nahezu wirkungslos. In der Kommission sitzen auch die wettbewerbsverhindernden Verbandsvertreter des Schweizerischen Gewerbeverbandes, von Economiesuisse und des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Das mittlerweile auf 60 Mitarbeiter ausgedehnte Weko-Sekretariat ist gespalten und operiert oft zwiespältig und ineffizient. Das Departement von Bundesrat Johann Schneider-Ammann toleriert diese Wettbewerbsbehinderung im Sinne von Economiesuisse und wehrte sich gegen die Korrektur des Kartellgesetzes.
Im Hintergrund operieren wirtschaftliche Partikularinteressen gegen den Importwettbewerb. Einige Interessengruppen sind hier exemplarisch aus eigener Erfahrung aufgeführt.
Potente Wettbewerbsgegner sind einmal die Alleinimporteure. Die Galenica-Gruppe ist der grösste Importeur von Kosmetika, Arzneimitteln und Drogerieprodukten. Sie besitzt die Amavita- Kette mit 155 Apotheken, die Sun-Store-Kette mit 55 Geschäften und den Medi-Service. Mit dem eigenen Vertriebsnetz verdrängt sie mehr und mehr die mittelständischen Apotheker und Drogisten. Galenica profitiert mit ihrem erfolgreichen Geschäftsmodell von der Lieferverweigerung durch ausländische Hersteller. Der Detailhandel kann Apotheken- und Drogerieprodukte oft nur über Galenica importieren.
Der exekutive Verwaltungsratspräsident und starke Mann der Galenica-Gruppe, Etienne Jornod, präsidiert gleichzeitig auch interventionistisch die NZZ-Mediengruppe. Deren Journalisten rechtfertigen ständig die Hochpreisimporte und bekämpften mit fast fanatischer Wettbewerbsfeindlichkeit die parlamentarische Gesetzeskorrektur für mehr Importwettbewerb.
Oder da sind die Kartellanwälte, die sich für die Monopolanbieter und Markenartikelhersteller Schlachten gegen die Wettbewerbsbehörden des Bundes liefern. Da sind auch die neoliberalen Wirtschaftsprofessoren, die die Kartelltheorie der US-Konzerne übernommen haben, wonach Lieferbindung und Lieferverweigerung als «legitimate business reasons» – aus legitimem Businessinteresse – toleriert werden müssten. Deren Vertreter wirken auch in der Weko.
Angesichts dieses Hochpreisproblems ist nun den Wirten und Hoteliers, allen voran den von der grenznahen Konkurrenz geplagten Basler Wirten, der Kragen geplatzt. Gastro Suisse lanciert zusammen mit der Stiftung für Konsumentenschutz und den Verbänden der kleineren Maschinen- und Metallbetriebe (Swissmechanic), der Bäcker- und Konditorenmeister und der Hoteliers (Hotelleriesuisse) die «Fair-Preis-Initiative». Damit lassen sie die Spitze des Schweizerischen Gewerbeverbands im Regen stehen.
Diese Volksinitiative «Stop der Hochpreisinsel – Für faire Preise» will die Beschaffungsfreiheit im Ausland verbessern. In Zukunft sollen Waren und Dienstleistungen, auch Internetbestellungen, im Ausland diskriminierungsfrei beschafft werden können, und zwar auch beim Filialgeschäftsmodell von Nivea. Als ehemaliger Preisüberwacher unterstütze ich diese Initiative.
Die Volksinitiative hat eine pragmatisch-schweizerische Ausnahmeregelung eingebaut: Wenn ein in der Schweiz hergestelltes Produkt im Ausland billiger angeboten wird, ist ein Reimport nicht möglich, um nicht über Auslandsgeschäfte die Schweizer Löhne zu gefährden. In der Schweiz hergestellte Nespresso-Kapseln können also nicht in Italien billiger beschafft und in hiesigen Geschäften wiederverkauft werden. Mit dieser Regelung werden die bisher vorgebrachten Abschottungsargumente der Schweizer Markenartikelproduzenten, von Economiesuisse und der Gewerkschaftspolitiker hinfällig.
Wir haben in der Schweiz mehr Sonntagsliberale als andere. Am Sonntag predigen sie Markt und Wettbewerb, und von Montag bis Freitag tun sie alles, um den Importwettbewerb zu behindern. Liberalismus gibts nur in den Sonntagsreden. Die Konsumenten und die KMU tragen die Kosten dafür.