Die Medizinaltechnik-Branche hat auf Drohungen aus Brüssel längst reagiert und vorgesorgt. Auch beim Strom und bei der Forschung liessen sich Lösungen finden.
Kolumne von Rudolf Strahm in TA-Online 20. 4. 2021 – und leicht gekürzt im Tages-Anzeiger und Bund vom 20.4.2021. –
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»Die Schweiz soll endlich sagen, war sie will.» Also der Vorwurf des Vorwurfs aus Brüssel an den Bundesrat. Taktisch unmittelbar vor dem Spitzengespräch von Bundespräsident Guy Parmelin mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, wurde diese Drohbotschaft eingebetteten SRG-Journalisten in die Hände gespielt, die sie letzte Woche breit auswalzten. »Selbstverständlich sind Texte mit präzisen Vorschlägen möglich”, heisst es bei Insidern in Bundesbern. Die Journalisten hätten sich instrumentalisieren lassen.
Es ist die gleiche Strategie, die die EU-Chefunterhändler in der letzten Verhandlungsrunde gegenüber Grossbritannien praktiziert hatten und dort – genau wie jetzt bei uns – die interne Polarisierung anheizten.
Der angebliche Angriff auf die Medtech-Branche ist ein Lehrstück für Meinungsmanipulation und Stimmungsmanagement.
Es fällt auf, dass die hiesigen Kämpfer für den Rahmenvertrag ausschliesslich auf Angst aufbauen. Sie malen den Teufel neuer EU-Strafmassnahmen an die Wand, sollten die Schweizer das Rahmenabkommen ablehnen: Keine Zulassung der Medizinaltechnikprodukte, kein Stromabkommen, keine Forschungszusammenarbeit. Alle kolportieren es, der eine schreibts dem andern ab, keiner prüfts nach. Wer nachrecherchiert, erlebt Überraschungen.
«Eine Milliarde Schaden für die Medizinaltechnikfirmen!» So lautete 2018 der Alarmruf. Heute, drei Jahre später ist dieser Alarmismus nicht mehr gerechtfertigt. Diese Episode ist ein Lehrstück für Meinungsmanipulation und Stimmungsmanagement.
Mit Berufung auf «nicht genannt sein wollende hohe EU-Spitzenbeamte» berichteten Schweizer Journalisten raunend, die EU würde bei der vorgesehenen Anpassung aller Medizinalproduktenormen die Schweiz neu wie einen Drittstaat, also wie Japan, Kanada oder die USA, behandeln, wenn das Rahmenabkommen nicht zustande käme.
Würde die EU die Schweizer Medtech-Branche piesacken wollen, würde es zwar komplizierter, aber die Exporte würden weiterlaufen.
Viele nutzten dies als Beweis für die «Erosion» der Bilateralen. Eine solche Massnahme wäre klar eine Verletzung der Grundsätze des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen, das als Bestandteil der Bilateralen I seit 2002 in Kraft ist. Nach dem Muster der früheren Aberkennung der Börsenäquivalenz wäre es eine erneute Strafaktion gegen die Schweiz.
Am 26. Mai endet nun die Anpassungsfrist für neue Medtech-Produkte. Doch die Branche hat längst vorgesorgt. Würde die EU die Schweizer Medtech-Branche piesacken wollen, würde es zwar komplizierter, aber die Exporte würden weiterlaufen. Denn für den Fall, dass die Schweizer Medtech-Exporteure plötzlich wie Lieferanten aus Drittstaaten behandelt würden, haben die Firmen in einem EU-Staat, meist in Deutschland, einen sogenannten Bevollmächtigten beauftragt, der exakt nach EU-Recht die Verbindungen zu den Behörden sicherstellt und die Produktehaftung garantiert. Das kann eine deutsche Anwaltskanzlei oder eine Treuhandfirma sein oder dann die eigene Filialniederlassung. Auswandern, wie dies Europa-Troubadours androhen, müssen die Firmen sicher nicht.
Der Verband Swiss Medtech, der vor zwei Jahren noch Alarmstimmung verbreitete, hat nämlich in aller Stille seine Mitgliedfirmen auf den Worst Case einer Sanktion Brüssels mit Empfehlungen, Wegleitungen und Musterverträgen vorbereitet. Die meisten der grösseren Medtech-Exporteure hatten allerdings schon bisher die Konformitätsprüfung ihrer Produkte meist bei TÜV-Deutschland abgewickelt.
Was wären nun die Zusatzkosten? Die Schweizer Medtech-Firmen rechnen für die Neuzertifizierung einmalig mit 114 Millionen Franken. Danach rechnet die Branche mit insgesamt 75 Millionen an jährlichen Kosten, etwa für die Bevollmächtigten-Mandate. Dies entspricht 4 Promille des Produktionswerts von rund 16 Milliarden. Das kostet weniger als die Währungsschwankungen. Ein Verbandsinsider sagt: «Das tut nicht mehr weh.»
Praktisch alle schweizerischen Medtech-Firmen haben nun für die Exportsicherung vorgesorgt.
Die Schweizer Medtech-Branche ist überhaupt eine der potentesten Wachstumsbranchen und weltweit führend mit Implantaten, Prothesen, Insulinpumpen und Laborgeräten. Ich halte sie für eine der interessantesten jüngeren Industriebranchen, weil sie durch eine einmalige Zusammenarbeit von akademischen Chirurgen mit Mechanikern, Praktikern und Tüftlern zu Weltruhm und Reichtum gelangt ist: Der Historiker Viktor Moser hat dies im Buch «Chirurgen und Mechaniker auf Augenhöhe» eindrücklich dokumentiert.
Praktisch alle schweizerischen Medtech-Firmen haben nun für die Exportsicherung vorgesorgt. Die Alarmisten sind in Bedrängnis, Sie werden wohl neue Bedrohungsszenarien an die Wand malen.
Sie werden etwa, vielleicht in Absprache mit Brüssel, die Drohung bezüglich des Stromabkommens aktivieren. Bei diesem tritt die EU als Bittstellerin auf. Denn es ist die Schweiz, die die Hochspannungs-Transitleitungen Nord-Süd in der Hand hält. Es ist die Schweiz, die mit den Pumpspeicherwerken den Spitzenstromausgleich für halb Europa sicherstellt. Der Hochspannungskonzern Swissgrid hat ein Interesse an dieser Einbindung, weil er davon profitiert.
Oder man wird als Drohkulisse die Forschungszusammenarbeit infrage stellen. Allerdings würde sich die EU durch den Verlust der Schweizer Exzellenz-Forschungsstätten selber schaden. In Europa gibt es nämlich die Hochschulen auf globalem Exzellenz-Niveau nur in Grossbritannien und in der Schweiz. Ich denke, dass unsere Forschungszentren für den Worst Case schon durch Kooperationskontakte mit andern Topuniversitäten vorgesorgt haben.
Ich bin der Meinung, dass eine Aktualisierung oder Dynamisierung der Verträge durchaus wünschbar und nötig ist. Doch vorerst geht es darum, eine erneute Piesackerei mit internen Massnahmen aufzufangen.
Probleme können ab Ende Mai allenfalls beim Medtech-Import entstehen. Damit die neu zertifizierten Medtech-Produkte sofort für unsere Spitäler und Arztpraxen eingeführt werden können, hat der Bundesrat in aller Stille mit einem Plan B vorsorglich eine «Eventual-Medizinprodukte-Verordnung» beschlossen, die am Tag nach einer EU-Strafmassnahme in Kraft gesetzt würde.
Ich bin der Meinung, dass eine Aktualisierung oder Dynamisierung der Verträge durchaus wünschbar und nötig ist. Doch vorerst geht es darum, eine erneute Piesackerei mit internen Massnahmen aufzufangen.
Man darf vermuten, dass heute die gut geführten Bundesämter, Departemente und Hochschulen für den Fall eines neuen Powerplay aus Brüssel mit einem eigenen Plan B vorgesorgt haben. Und wenn das Gleiche nun auch Parteien wie die FDP ankünden, ist dies nur klug. Denn Vorsorge verschafft mehr Spielraum für selbstbewusste Verhandlungen und für die Zukunft.
Schluss