Steuer-Deal mit der Schweiz

DIE  ZEIT (HAMBURG)  2. FEBRUAR 2012.  Seite 26  (Wirtschaftsteil. Ausgabe für Deutschland)

Das Abkommen zwischen Deutschland und der Schweiz über die steuerliche Behandlung deutscher
Vermögen ist nicht das, was sich die helvetische Regierung und die Banken von vornherein gewünscht hätten. Irgendwann konnte die Schweiz nicht mehr anders. Zudem wussten in der Schweiz alle: Mit seinen Forderungen nach Eindämmung der Steuerflucht war Deutschland moralisch im Recht.
Ein Bestandteil des Abkommens ist eine Abgeltungssteuer für deutsche Vermögen auf Schweizer Banken. Schweizer Privatbankiers hatten die Idee. Mit diesem Entgegenkommen wollten sie den Kern des heimischen Bankgeheimnisses retten. Kenner der Einzelheiten waren bloß erstaunt, dass die deutsche Bundesregierung das Abkommen in dieser Form mit den eingebauten Schlupflöchern im vergangenen Sommer unterzeichnete. Schließlich hatte ich selbst über alte Kontakte zu schweizerischen Unterhändlern wie auch öffentlich darauf hingewiesen, dass dort Ausweichmöglichkeiten eingebaut waren.
Jahrelang hatten Schweizer Banken deutschen Kunden systematisch zur Steuerflucht verholfen, und die Regierung hatte das Schweizer Bankgeheimnis hartnäckig als »unverhandelbar« deklariert. Von den 330 Schweizer Banken hatten sich indes nur etwa 30 bis 40 aktiv und systematisch an der Steuerfluchthilfe beteiligt, namentlich die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse, 13 Privatbanken und ein Dutzend weiterer ausländischer Bankniederlassungen in der Schweiz. Zu den beteiligten Privatbanken gehörte auch die jüngst unter amerikanischer Sanktionsdrohung aufgespaltete St.Galler Bank Wegelin, deren oberster Chef und Teilhaber, Konrad Hummler, einer der politisch einflussreichen Hardliner bei der Verteidigung der Steuerflucht aus dem Ausland war. Zitat: »Wer Steuern zahlt, ist dumm«. Die Großzahl der Inlandsbanken war und ist jedoch kaum an der systematischen Annahme ausländischer Vermögen beteiligt. Laut einer Schätzung der Finanzmarktanalyse-Firma Helvea waren im Jahr 2010 rund 280 Milliarden Franken Vermögen aus Deutschland auf Schweizer Banken, davon 193 Milliarden Schwarzgeld und 87 Milliarden deklarierte Vermögen. Das sind Schätzungen.
Das Abkommen ist während fast zwei Jahren ausgehandelt worden. Der 44seitige Text liegt vor den Parlamenten in Deutschland und der Schweiz. Es lässt sich grob in zwei Teile aufteilen: erstens eine Regelung für die bisherigen Fluchtvermögen und »Altlasten«. Zweitens eine Zukunftsregelung über Besteuerung und über die Amtshilfe zwischen den Steuerbehörden.
Der rückblickende Teil des Abkommens sieht eine Art Amnestie-Abgabe vor: Die Banken müssen für jeden deutschen Kunden die Vermögensbestände für die vergangenen zehn Jahre aufrechnen und darauf je nach Aufenthaltsdauer eine pauschale Abgabe von 19 bis 34 Prozent des Kapitalstocks abliefern, die an den deutschen Staat als Entgelt für die bisherigen Steuerverluste überwiesen wird. Im Durchschnitt rechnet man mit einer Amnestieabgabe von 20 bis 25 Prozent des Kapitalstocks. Dies könnte dem deutschen Bund und den deutschen Ländern potentiell 20 bis 30 Milliarden Franken Nachsteuern einbringen. Der deutsche Finanzminister stellte mindestens  10 Milliarden Euro in Aussicht.
Nun aber kommt das Schlupfloch im Abkommen: Diese Amnestieabgabe soll nur dann erhoben werden, wenn das deutsche Vermögen beim Inkrafttreten des Abkommens (vorgesehen war der 1. Januar 2013 oder einige Monate später) noch auf den Schweizer Banken liegt. Wer vorher abhaut und das Vermögen nach Singapur oder in die Karibik verschiebt, oder wer es von der Bank zu einem privaten schweizerischen Vermögensverwalter verschiebt, zahlt nichts! Der deutsche Steuerflüchtling kann also durch Vermögensabzug eine Abgabe von 20 bis 25 Prozent aufs Kapital sparen. Er hat seit der Unterzeichnung aus dem vergangenen Jahr insgesamt 16 Monate oder mehr Zeit, ungestraft abzuhauen.
Zwar haben die deutschen Unterhändler das Problem gesehen und zunächst auch die Meldung jedes einzelnen Kunden verlangt, der sein Vermögen aus Europa abzieht. Doch die Schweizer Unterhändler und ihre Beaufsichtiger in der Privatbankier-Szene kämpften mehr als sechs Monate lang verbissen für die Steuerflüchtlinge. Der Kompromiss: Es soll über alle Banken eine Kautionssumme von zwei Milliarden Franken geben – und bloß eine summarische Mitteilung an Deutschland über die Kapitalabflüsse.
Jeder Bankier kann also dem deutschen Kunden die Schließung seines Kontos in der Schweiz und die Verschiebung des Vermögens auf ein Konto derselben Bank in Asien empfehlen, legal und bestenfalls summarisch nachprüfbar. Gewisse Schweizer Banken bauten zuletzt ihre Niederlassungen in Singapur und andern asiatischen Finanzplätzen auch aus. Ein Transfer in Bankfilialen außerhalb der Reichweite deutscher Abkommen ist auch keine abwegige Strategie. Einige werden sie unglücklicherweise wohl anwenden.
Die USA haben in ihrem Abkommen mit der Schweiz erreicht, dass die Kapitalerfassung rückwirkend in Kraft tritt. Die Schweizer Banken müssen die Daten über amerikanische Kunden auf zehn Jahre rückwirkend an die USA übermitteln. Kein Wunder, knöpften sich die Amerikaner doch jeweils eine einzelne Schweizer Bank vor, setzte sie mit Prozess- und Sanktionsdrohungen unter Druck und vertraute darauf, dass die betreffende Bank ihre Regierung und das Parlament dazu bringt, die Herausgabe der Daten zu akzeptieren. Aus amerikanischer Sicht war diese Würgermethode erfolgreich bei der UBS, bei der Credit Suisse und jüngst auch bei kleineren Privatbanken und zwei Kantonalbanken. Die deutsche Regierung verhandelt demgegenüber auf zivilisierte Art von Regierung zu Regierung.
Der zweite, zukunftsorientierte Teil des Steuerabkommens Schweiz-Deutschland führt eine Art Quellensteuer auf Zinsen und andere Kapitalerträge deutscher Kunden in der Schweiz ein. Diese Steuer von rund 26 Prozent der Kapitalerträge wird dann von der Schweiz an Deutschland abgeliefert, ohne den Kunden zu nennen. Das Abkommen dient also der Anonymisierung der deutschen Kundenvermögen. Dies ist nach Lesart der schweizerischen Bankiers eine »Rettung« für das Bankgeheimnis, in der Sichtweise mancher Schweizer Politiker aber auch eine »weitere Aushöhlung« des Bankgeheimnisses.
Tatsächlich ist diese Abgeltungssteuer ein Fortschritt. Sie schließt immerhin Lücken in der Besteuerung der Zins- und Kapitalerträge deutscher Kunden in der Schweiz. Allerdings ist der Informationsaustausch auf nur 500 bis 1000 Anfrage- und Meldefällen pro Jahr beschränkt, und mit der  Behandlung der einzelnen Amtshilfefälle dürfen sich die Schweizer viel Zeit lassen.
Man muss auch die Grenzen des Abgeltungssteuersystems kennen: Es erfasst nur die in der Schweiz anfallenden Zinsen und Kapitalerträge deutscher Kunden. Hingegen werden die in Deutschland hinterzogenen Einkommensteuern bei der Entstehung der Fluchtvermögen mit dieser Abgeltungssteuer nicht erfasst. Wenn zum Beispiel ein deutscher Anwalt eine Million Euro aus einem in Deutschland unversteuerten Zusatzverdienst in der Schweiz anlegt, so liefert er durch die Abgeltungssteuer vielleicht 10 000 Euro jährlich an den deutschen Fiskus. In Deutschland hat er aber bei der Entstehung des Vermögens rund 400 000 Euro (bei einem Grenzsteuersatz von durchschnittlich 40 Prozent) als Einkommenssteuer vermieden.
Man sieht: Dieses Abkommen ist ein wichtiger Schritt nach vorn. Es wäre fatal für beide Länder, wenn es nicht zustande käme. Eine Alternative, nämlich ein automatischer Bankdatenaustausch, wie ihn die EU anstrebt, kommt für die Schweiz als Land außerhalb der EU derzeit nicht in Frage. Es bliebe in einer Volksabstimmung chancenlos auf der Strecke. Ich könnte mir eine für beide Seiten faire Lösung mit zwei geringfügigen, aber politisch entscheidenden Änderungen vorstellen, und zwar bei beiden erwähnten Schlupflöchern: Einerseits könnte die einmalige Abgabe auf dem jeweiligen Vermögensstand zur Zeit der Abkommensunterzeichnung (Sommer 2011) statt Anfang 2013 basieren. Dann könnten sich die deutschen Bankkunden nicht einfach durch Kapitalverschiebung der Abgabe entziehen Und anderseits ließe sich die Zahl der Amtshilfefälle auf deutsche Anfrage hin vergrößern, und die Schweiz würde darauf in einer garantierten, kurzen Zeit Amtshilfen leisten.
Die politische Schweiz und die Regierung in der heutigen Zusammensetzung sind stärker als früher an einem Steuer-Arrangement mit Deutschland interessiert. Und die Schweizer Regierung ist heute weniger unter Zwang, zumal einige der traditionellen Kämpfer für das Bankgeheimnis ihre Sessel in den Banken geräumt haben und sich jetzt auf Golfplätzen tummeln.

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RUDOLF STRAHM: Der 68-jährige Schweizer Ökonom und Chemiker war 13 Jahre im Nationalrat und leitete vier Jahre als nationaler “Preisüberwacher” eine Regulierungsbehörde. Dieser Text erschien in wesentlichen Teilen am 11.Oktober 2011 im Zürcher “Tages-Anzeiger” und im Berner “Bund”.

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