Das Steuerabkommen mit Deutschland hat Schlupflöcher

Tages-Anzeiger und Bund  – Dienstag, 11. Oktober 2011

Die Schweiz konnte nicht mehr anders. Sie musste mit Deutschland eine Lösung zum Steuerflucht- und Schwarzgeldproblem finden. Der Druck aus dem Ausland war unverkennbar.

Jahrelang hatten Schweizer Banken deutschen Kunden systematisch zur Steuerflucht verholfen und das Schweizer Bankgeheimnis als «unverhandelbar » angepriesen. Sicher, von den 330 Schweizer Banken hatten sich nur etwa 30 bis 40 aktiv an der Steuerfluchthilfe beteiligt, namentlich die beiden Grossbanken, die 13 Privatbanken und einige weitere ausländische Bankfilialen in der Schweiz. Die übrigen Inlandbanken waren kaum beteiligt. Doch laut der Finanzmarktanalyse-Firma Helvea lagen 2010 280 Milliarden Franken Vermögen aus Deutschland auf Schweizer Banken, davon 193 Milliarden Schwarzgeld und 87 Milliarden deklarierte Vermögen. Die Aufteilung ist natürlich nur schätzbar. Das Abgeltungssteuerabkommen ist während fast zweier Jahre von schweizerischen und deutschen Unterhändlern ausgehandelt worden. Nun liegt der 44-seitige Text den Parlamenten vor. Er umfasst grob gesagt zwei Teile: eine Regelung für bisherige Fluchtvermögen und eine Zukunftsregelung über Steuererfassung und Amtshilfe zwischen den Steuerbehörden.

Der rückwirkende Teil des Abkommens will eine «Regularisierung» der bisherigen deutschen Fluchtvermögen. Dies mit einer Art Amnestie-Abgabe: Die Banken müssen für jeden deutschen Kunden die Vermögensbestände für die letzten zehn Jahre aufrechnen und darauf eine pauschale Abgabe von 19 bis 34 Prozent des Kapitalstocks abliefern, die an den deutschen Staat als Entgelt für die seit 2003 aufgelaufenen Steuerverluste überwiesen wird. Im Durchschnitt rechnet man mit einer Amnestieabgabe von 20 bis 25 Prozent des Kapitals. Dies sollte Deutschland und seinen Bundesländern aufgrund der erwähnten Helvea-Zahlen 20 bis 30 Milliarden Franken Nachsteuern einbringen.

Nun aber kommt der Haken im Abkommen: Die Amnestieabgabe soll nur dann erhoben werden, wenn das deutsche Vermögen fünf Monate nach Inkrafttreten des Abkommens am 1. Januar 2013 noch auf den Schweizer Banken liegt. Wer vorher abhaut und das Vermögen nach Singapur oder in die Karibik verschiebt, oder wer es von der Bank zu einem kleinen privaten Vermögensverwalter transferiert, zahlt nichts! Der deutsche Steuerflüchtling kann also durch Vermögensabzug 20 bis 25 Prozent Regularisierungsabgabe sparen. Er hat anderthalb Jahre Zeit, sein Geld unbehelligt abzuziehen.

Es ist nicht so, dass die deutschen Unterhändler dies nicht gemerkt hätten. Sie verlangten eine Meldung für jeden einzelnen Kunden, der sein Vermögen aus Europa schafft. Doch die Schweizer Unterhändler und ihre Beaufsichtiger in der Privatbankierszene wehrten sich verbissen für die Steuerflüchtlinge. Über sechs Monate lang wurde über diese Frage gestritten. Der Kompromiss war die geringe Kautionssumme für alle Banken von 2 Milliarden Franken (anrechenbar bei 4 Milliarden Regularisierungs-Gesamtbetrag) und eine bloss anonymisierte Mitteilung an Deutschland über die Kapitalabflüsse nach Drittstaaten. Jeder Bankier kann dem deutschen Kunden die Schliessung seines Kontos in der Schweiz und die Verschiebung des Vermögens auf ein Konto derselben Bank in Asien oder in ein geschlossenes Schrankfach empfehlen. Völlig legal und unkontrollierbar. Einige werden es auch tun – ich wäre froh, diese Voraussage würde sich als falsch erweisen.

Aus der Bankenwelt tönt es: gut gemacht, Schweiz! Doch dieses Schlupfloch ist ein politisches Risiko für unser Land. Deutschland rechnet mit mindestens 15 Milliarden Franken Regularisierungsertrag aus diesem Abkommen. Wenn es nur vier Milliarden sind, wird uns der Schlaumeiertrick einholen. Die hoch qualifizierten Unterhändler der Schweiz wussten das, sie wurden mehrmals darauf aufmerksam gemacht. Doch sie standen unter Erfolgsdruck und unter Aufsicht der Bankiers.

Solche Tricks in internationalen Abkommen zahlen sich auf längere Sicht nicht aus. Bereits im Jahr 2001 (ich war damals Präsident der nationalrätlichen Wirtschafts- und Abgabekommission WAK) hatte man im Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU einen Schlupflochtrick eingebaut: Man unterstellte damals nur die festverzinslichen Anlagen unter die Zinsbesteuerung, die Kapitalanlagen mit variablen Zinsen (Aktien- und Fondsdividenden) liess man aus. Darauf empfahlen die Bankiers den EU-Kunden das Schlupfloch systematisch, boten sogar neue Schlupfloch-Anlageformen an. Nach ein paar Jahren stellte sich heraus: Die europäischen Länder erhielten nur einen Zehntel der erwarteten Quellensteuern aus der Schweiz. Diese Trickserei – bei uns als grosser Erfolg gefeiert – hat unserem Land bei den EU-Finanzministern den Ruf der Unredlichkeit und Unzuverlässigkeit eingetragen. Ein Reputationsschaden, der die Schweiz bis heute in Misskredit bringt.

Der Widerstand gegen das damalige Zinsbesteuerungsabkommen kam 2001 von Marcel Ospel, damals CEO der UBS, und von Konrad Hummler von der Privatbank Wegelin, der aus Protest sogar aus dem Vorstand der Bankiervereinigung austrat und einen Club der Privatbankiers gründete. Er wirkt jetzt auch als Verwaltungsratspräsident der NZZ und beeinflusst unverkennbar die bankenpolitische Berichterstattung des NZZ-Wirtschaftsressorts. Der zweite, zukunftsorientierte Teil des Steuerabkommens Schweiz – Deutschland führt eine Abgeltungssteuer ein. Dies ist eine Art Quellensteuer – ähnlich wie unsere Verrechnungssteuer – auf die Zinsen und andern Kapitalerträge deutscher Kunden in der Schweiz. Diese Quellensteuer von rund 26 Prozent der Kapitalerträge wird von der Schweiz an Deutschland abgeliefert, ohne den Kunden zu nennen. Er dient also der Anonymisierung der deutschen Kundenvermögen.

Diese Abgeltungssteuer ist ein Fortschritt. Sie ermöglicht in Zukunft die lückenlose Besteuerung der Zinsund Kapitalerträge deutscher Kunden in der Schweiz. Aber nur der Erträge! In Deutschland hinterzogene Einkommenssteuern werden mit der Abgeltungssteuer nicht erfasst.

Das Steuerabkommen bedeutet einen Schritt nach vorn. Doch die Realität der Schlupflöcher wird uns in einigen Jahren wieder einholen.

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.