Chancen für die Energiewende

Kolumne Rudolf Strahm, in: Unternehmer-Zeitung  UZ  Nr. 5-2013   Mai 2013

Vor der Reaktorkatastrophe in Fukushima sprachen nur noch wenige unverwüstliche, alternde Kernenergiegegner vom „Ausstieg aus der Atomenergie“. Die Energiestrategie der Bundesrepublik Deutschland mit ihrer massiven Förderung von Solar, Wind und Biogas-Verstromung hielt man in unsern Wirtschaftskreisen für eine Verirrung der deutschen Politik unter dem Diktat der regierungsbeteiligten Grünen.

Seit Mitte der neunziger Jahre hatte Deutschland nämlich die Windkraftnutzung in der Nord- und Ostsee, die Biogas-Verstromung auf allen grossen Bauernhöfen und die Solarenergie flächendeckend gefördert. Dies unter dem Protest der liberalen Professoren wie Hans-Werner Sinn, die bei Lenkungsmassnahmen gebetsmühlenhaft eine Marktverzerrung und volkswirtschaftliche Verschwendung behaupten. Auch die schweizerischen Elektrizitätskonzerne verschmähten mit Häme das deutsche Modell.

Deutsche Energiewende wirkt sich aus

Doch heute macht sich die frühe deutsche Energiewende auf den europäischen Elektrizitätsmärkten zugunsten der Verbraucher bemerkbar: Nach fast zwei Jahrzehnten Fördermassnahmen hat Deutschland ein Potential an zusätzlicher elektrischer Leistung mit erneuerbaren Energien aufgebaut, das 24 grossen Atomkraftwerken vom Typ Gösgen entspricht. Die Stromverbrauchsspitze über Mittag wird von Solarpanels überbrückt. Die Verbrauchsspitze in kalten Winternächten decken die Windkraftanlagen der Nordsee. Dadurch sind die gewaltigen Preiserhöhungen für Spitzenstrom aus schweizerischen Pumpspeicherwerken zusammengebrochen, und alle Grossen – Axpo, BKW, Alpiq – erleiden seit zwei Jahren grosse Einbussen im Stromhandel mit massiven Verlusten und hohen Abschreibern. Kommt hinzu, dass chinesische Photovoltaik-Nachahmer mit Panels auf den europäischen Markt vorstossen, die heute 75% billiger sind.

Die Chefs unserer grossen Elektrizitätskonzerne waren inkompetent und unbelehrbar bei der Einschätzung der Entwicklungen in Europa – obschon sich diese Jahre zuvor schon abgezeichnet hatten. Ihre rigide Unbelehrbarkeit und der atompolitische Dogmatismus kommen die Volkswirtschaft jetzt teuer zu stehen, denn letztlich zahlen die Konsumenten den Preis für diese Fehlleistungen der Strommonopole.

Umdenken nach Fukushima

Nach Fukushima versucht die schweizerische Energiepolitik das nachzuholen, was Deutschland schon Mitte der Neunziger Jahre gestartet hatte. Allerdings hätte bei uns die Chance bereits im Jahr 2000 mit der vom Parlament beschlossenen Förderabgabe bestanden, mit welcher erneuerbare Energien und Gebäudesanierungen mit einem jährlichen Investitionsbonus an Private von jährlich 450 Millionen Franken (finanziert aus einer minimen Energieabgabe von nur 0.3 Rappen pro Kilowattstunde) gefördert werden sollten. Das Projekt, das damals auch von Bauern und Gewerblern unterstützt wurde, scheiterte im September 2000 in der Volksabstimmung mit 55% Neinstimmen. Inspirator der Nein-Kampagne von Economiesuisse war der damalige Nationalrat Gerold Bührer. Später wurde er deren Präsident.

Bundesrätin Doris Leuthard versucht heute, die Energiewende behutsam mit einer Langfriststrategie aufzugleisen. Sie stösst zwar auf Fundamentalopposition der unbelehrbaren Antistaats-Funktionäre von Economiesuisse. Aber sie hat trotz dem Bremserdachverband heute mehr Support in der Wirtschaft. In der Zwischenzeit hat sich die Cleantech-Industrie als Lobbygruppe in Bundesbern etablieren können. Die Träger und Nutzniesser der modernen, intelligenten Energietechnologien werden heute im Parlament als Vertreter der KMU-Wirtschaft ernst genommen. (Sie kommen auch in dieser UZ-Ausgabe zu Wort.)

Bessere Umsetzungschancen als früher

Ich gebe dem bundesrätlichen Projekt „Energiewende“ politisch einige Chancen. Dies aus folgendem Grund: In der  Energiestrategie hat die Bundesrätin Doris Leuthard als Energieministerin praktisch selber die Projektleitung übernommen. Dies birgt für sie persönlich einige politische Risiken, aber als Chefin des Infrastrukturdepartements kann sie sich gegenüber andern Departementen, Kantonen, Wirtschaftsverbänden und politischen Gruppierungen besser durchsetzen.

Zwei frühere energiepolitische Anläufe in der schweizerischen Wirtschaftsgeschichte waren gescheitert: Die von Bundesrat Willi Ritschard in den siebziger Jahren eingesetzte Gesamtenergiekonzeptions-Kommission unter dem Präsidium von Michael Kohn (damals CEO von Motor Columbus) verlief sich in der Unfähigkeit des Präsidenten, sich zwischen der Atomlobby und den Anforderungen der Politik festzulegen. Die zweite historische „Kommission Energieszenarien“ der Neunziger Jahre unter dem Präsidium von Hans-Luzius Schmid, damals Vizedirektor des Bundesamts für Energie, konnte ihr durchdachtes Konzept nie in die Praxis umsetzen, weil von oben zu wenig Support und Engagement zur politischen Durchsetzung bestand.

Doch diesmal stehen die Chancen mit dem bundesrätlichen Lead besser. Die Energieministerin und faktische Projektoberleiterin verhandelt selber mit den Kantonen und Verbänden, den Forscherkreisen und Grossinvestoren. Als Regierungsmitglied konnte sie das viel wirksamere konkrete Konzept der Förderabgaben (Gebäudeprogramme und Kostendeckende Einspeisvergütung KEV als Investitionsanreize) gegenüber dem unrealistischen Schreibtischkonzept einer ökologischen Steuerreform vorderhand durchsetzen.

Zukünftige Energieteuerung einkalkulieren

Praktisch alle unabhängigen Ökonomen und Energiespezialisten in aller Welt sagen voraus, dass sich das Gesamtniveau der Energiepreise global und langfristig weiter erhöhen wird: Die Schwellen- und Transitionsländer wie China werden die Weltmärkte von den fossilen Energieträgern abräumen, die Förderkosten werden ansteigen, die Sicherheitsvorschriften werden neue Atomanlagen, sollten sie erstellt werden, massiv in die Höhe schnellen lassen. Und die Endlager- und Abrisskosten der alten müssen erst noch finanziert werden.

Wer als Unternehmer energetische Investitionen plant, sollte bei einem dreissigjährigen Investitionszyklus mit höhern Schattenpreisen als den heutigen Energiekosten rechnen: mit Erdölpreisen von 150 bis 200 Franken pro Hektoliter und mit Strompreisen von 30 bis 40 Rappen pro Kilowattstunde. Was sich vielleicht heute noch nicht rechnet, wird sich innerhalb der Investitionsperiode dennoch auszahlen. Wer zu kurzfristig kalkuliert, zahlt langfristig die Kosten für seine Kurzsichtigkeit!

 

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