Atomausstieg ist nicht billig

Tages-Anzeiger – Dienstag, 22. März 2011

Nun predigen alle den Atomausstieg – vorläufig wenigstens. Doch die Menschen glauben nur dann an Versprechen und energietechnische Neuerungen, wenn sie diese hautnah erfahren. Sie frieren ungern.

Die Leute im Quartier, in dem ich wohne, glauben an die Machbarkeit einer besseren Energiepolitik. Weil sie den Beweis erfahren haben. Unsere Reiheneinfamilienhäuser wurden in den 70er-Jahren mit Elektrospeicherheizungen ausgerüstet, als der Strom aus dem Atomkraftwerk Mühleberg 4 Rappen pro Kilowattstunde kostete und Stromfresserheizungen wie die unsrigen gefördert wurden.

Neu hat nun jedes Haus seine eigene Wärmepumpe für Heizung und Warmwasser. Die Wärme kommt von einer 130 Meter tief reichenden Erdsonde mit einer garantierten Lebensdauer von 99 Jahren. Die Wärmetransportflüssigkeit geht mit 4 Grad Celsius in die Tiefe und kommt mit 8 Grad zurück. Von diesen 4 Grad Wärmedifferenz leben wir, heizen komfortabel Haus und Wasser, automatisch, geräuschlos, Sommer und Winter. Der Gesamtstromverbrauch im Winter wurde dank der Sonde um zwei Drittel reduziert! Zuvor ist schon durch bessere Isolation und Verglasung ein Viertel Heizenergie gespart worden.

Energieeffizienz-Investitionen sind rentabel: Die Wärmepumpenanlage amortisiert sich mit der Energieeinsparung innert 18 Jahren bei heutigen Strompreisen, bei steigenden Preisen schon nach einem Jahrzehnt. Die Kosten der ganzen Wärmepumpenanlage: 50 000 Franken pro Haus. Ausgelöst wurde unsere Investition durch die Zusage von rund 10 000 Franken an öffentlichen Geldern aus dem Konjunktur-Stabilisierungsprogramm 2009 von Bund und Kanton.

Vier Reiheneinfamilienhäuser generierten also mit einer Investitionssumme von 200 000 Franken ein Arbeitsvolumen von rund anderthalb Mannjahren an hochspezialisierter Berufsarbeit. Gefragt waren Heizungstechniker, Spengler, Elektroniker, Bohrspezialisten, Gärtner und weitere. Nutzniesser war hauptsächlich das inländische Gewerbe. Die Investitionsanreize zur rasch wirkenden Konjunkturstützung von 2009 zahlten sich dank des Ausgabenmultiplikators aus: Der Bund hat nämlich in der Krise mehr bei der Arbeitslosenversicherung eingespart, als er für die Investitionsimpulse bezahlte.

So weit eine konkrete Erfahrung, wie mit intelligenten Zukunftstechnologien zwei Drittel Strom rentabel eingespart und dazu noch hochwertige Arbeitsplätze geschaffen werden können. Diese Resultate strafen all jene Ökonomen Lügen, die mit ihrer Weniger-Staat-Doktrin bei jeder Gelegenheit die Energiepolitik des Bundes schlechtreden. Einer der Väter dieser Ideologie ist Professor Silvio Borner, der wahrscheinlich selber die Zahl seiner Artikel gegen eine aktive Energiesparpolitik nicht mehr kennt. Und sein Schüler Aymo Brunetti erfand als Chef der «Ideologieabteilung» des Seco – so wird innerhalb der Verwaltung die überflüssige Abteilung für Wirtschaftspolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft bezeichnet – 2009 nur ablehnende Argumente gegen das Stabilisierungsprogramm von Bundesrätin Doris Leuthard. Nun wehrt sich Brunetti verwaltungsintern erneut verbissen gegen die Cleantech- Vorlage des Bundes, welche die Energieeffizienz fördern will sowie ein Ausbildungs- und Investitionsimpulsprogramm für das Haustechnikgewerbe vorsieht – aus «ordnungspolitischen Gründen», wie er sagt.

Von «Ordnungspolitik» schwurbeln die neoliberalen Ökonomen immer dann, wenn sie weniger Staat und mehr Markt meinen. Doch die reinen Marktpreise von Energie ignorieren Umwelt, Klima und die Kosten für die zukünftigen Generationen.

Schweizweit geben die 3,8 Millionen Haushalte allein für Heizungs- und Warmwasser-Energie jährlich 8,5 Milliarden Franken aus. Sechs Siebtel des Gesamtenergieverbrauchs der Haushalte werden für Heizung und Warmwasser gebraucht. Auf Licht, Hauselektronik und Haushaltapparate entfällt ein Siebtel. Deshalb ist die energetische Sanierung der Häuser zentral.

Jährlich wird heute nur 1 Prozent aller Wohnungen energetisch saniert. Vor allem bei den Mietwohnungen haben wir einen Rückstand wegen der Trennung von Eigentümer und Heizkostenträger: Die Mieter zahlen über die Nebenkostenrechnung den Energieverbrauch selber; also hat der Eigentümer keinen Anreiz zu Energieinvestitionen zugunsten der Mieterschaft. Deshalb sind Investitionsanreize an die Eigentümer durch die Verwendung der CO2-Abgabe (heutiger Ertrag: 600 Mio. Franken pro Jahr) viel wirksamer als die blosse Rückerstattung der Erträge aus dieser Abgabe. Die Erträge der CO2-Abgabe müssen voll zweckgebunden für Sparinvestitionen eingesetzt werden. Ohne Zweckbindung ist diese Abgabe bei Mietwohnungen wirkungslos.

Die Kosten des Ausstiegs aus der Atomenergie werden meist unterschätzt. Der Ausstieg ist kein Spaziergang. Dieser erfordert ein langjähriges gewaltiges Impulsprogramm für Investitionen in die Energieeffizienz. Doch immerhin: Würde man die über 20 Milliarden Franken, die Bau und Betrieb eines neuen Atomkraftwerks laut Prognos-Gutachten kosten würden, alternativ zum grösseren Teil in die Energieeffizienz und zum kleineren in erneuerbare Energien investieren, könnte man das Energieäquivalent dieses AKW mehr als einsparen. Und dabei rund doppelt so viele Arbeitsplätze im Inland schaffen wie für Bau und Betrieb des AKW. Von den Energieperspektiven des Bundes kommen denn auch 15 von 21 berechneten Szenarien langfristig ohne Atomkraft aus. Dabei würde ich ein Gas-Kombi-Kraftwerk nicht von vornherein ausschliessen.

Als Volkswirtschaftsministerin hatte Doris Leuthard 2009 mit dem Konjunktur-Stabilisierungsprogramm eine Vorreiteraktion im Energiebereich ausgelöst. Und schon mit den früheren staatlichen Energieeffizienz-Programmen der Bundesräte Ogi («Energie 2000») und Leuenberger («Energie Schweiz») hat die Wirtschaft recht viel hinzugelernt. Die entsprechenden Berufsfachleute, Technologien und Produktionskapazitäten sind heute vorhanden. Das war 1990 bei den Moratoriums- und Ausstiegsinitiativen noch nicht der Fall. Nun lassen sich diese Vorspuraktionen zu einem flächendeckenden Investitionsprogramm nutzen. Damit liesse sich der Glaubenskrieg zwischen «Atom» und «Antiatom» durch eine zukunftsgerichtete, gemeinsam getragene Investitionsstrategie entschärfen.

Bürgerinnen und Bürger, die im Dilemma zwischen Klima- und Atomproblematik stehen, wünschen sich eine zukunftsfähige Energiepolitik jenseits des atomaren Glaubenskriegs.

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