Kolumne im Tages-Anzeiger, Bund, Basler Zeitung, TA-Online
Vor elf Jahren stand das globale Finanzsystem vor dem Kollaps. Nur mit Staatshilfen und einer gewaltigen Geldmengenausdehnung durch alle Notenbanken konnte das Bankensystem gerettet werden. Mit der Konsequenz, dass durch die Geldschwemme die Zinsen bis zum heutigen Tag unter null verharren.
Vor zehn Jahren begann auch das schweizerische Bankgeheimnis auf Druck des Auslandes ratenweise zu bröckeln. Das Bankgeheimnis, an dem laut Bundesrat Hans-Rudolf Merz das Ausland seine Zähne ausbeissen sollte, zerrann in kurzer Zeit. Die Grossbanken UBS und Credit Suisse mussten für ihre krummen Touren bei der Steuerfluchthilfe insgesamt mehr als 15 Milliarden Franken an Bussen und Sonderzahlungen ans Ausland abliefern. Nun wollen sie ihre Bussen noch von den Steuern abziehen.
In seiner Geschichte über den «Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis» hat der Historiker Stefan Tobler eindrücklich dargestellt, wie lernunfähig, borniert und arrogant die helvetische Wirtschaftselite die internationalen Spielregeln wissentlich ignoriert und missachtet hatte. Es fehlte jedes Unrechtsbewusstsein gegenüber Steuerfluchthilfe und Geldwäscherei.
Nie wurde ein Verantwortlicher aus der Schweizer Bankenszene zur Rechenschaft gezogen. Heute geniessen die damaligen Boni-Vergoldeten ihre Frühpensionierung in ihren Seevillen und auf den Golfplätzen. Die Lehre aus dieser historischen Aufarbeitung: Das schweizerische Regierungssystem hatte nie die Kraft, von sich aus den Finanzplatz in Ordnung zu bringen. Zu Korrekturen kam es immer nur auf Druck des Auslands. Während einiger weniger Jahre nach der Krise des Finanzplatzes übten sich die Nachfolger der gestrauchelten Boni-Banker in Bescheidenheit und Funkstille. Aber nun singen sie wieder.
Der UBS-Chef Sergio Ermotti geht mit einer aggressiven Behördenkritik gegen die Finanzmarktaufsicht Finma vor: Die Finma pflege einen überbordenden Regulierungseifer, und Bundesbern unterstütze die Banken bei ihren Gerichtsprozessen zu wenig. Auch in einer Motion des BDP-Politikers und früheren UBS-Beraters Martin Landoltwurden die Finma-Behörde und ihr Chef Mark Branson zur Zielscheibe. Man will ihr die Flügel stutzen und sie in die Interessenpolitik der Banker einbinden. Eine Kontrollbehörde verdient nur dann Respekt und hat nur dann Wirkung, wenn sie politisch unabhängig ist. Finma, Weko, Elcom, Preisüberwachung sind nicht weisungsgebunden. Sie unterstehen dem Gesetz, aber eben nicht dem Bundesrat.
Nun schlägt das Finanzdepartement mit seinem Entwurf für die Verordnung zum Gesetz über die Finanzmarktaufsicht genau diese politische Einbindung der Finma vor. Im Staatssekretariat für Internationale Finanzfragen leitete Staatssekretär Jörg Gasser die Ausarbeitung dieser Verordnung. Diese sieht jetzt so aus, als hätten die Banker selbst sie verfasst.
Kürzlich hat Gasser als CEO zur Bankiervereinigung gewechselt. Bei seiner Wahl im März attestierte ihm der neue Arbeitgeber, er habe sich als Staatssekretär «entschieden für eine schlanke Regulierung» eingesetzt. Die Interessenkollision im aktuellen Fall Brupbacher lässt sich mit dem Fall Gasser vergleichen. Die Bankiervereinigung hat im Finanzdepartement stets ein offenes Ohr. Bundespräsident Ueli Maurer trifft sich monatlich mit deren Präsident Herbert Scheidt. Es heisst, dies sei häufiger als mit seinen Chefbeamten im Departement.
Es ist offenkundig, was das Ziel der Finanzaufsicht-Verordnung aus der Küche von Maurer und Gasser ist: die Neutralisierung der Finma in ihrer Rolle als Regulatorin der Banken. Da ist von Begründungs- und Dokumentierungspflicht, Verhältnismässigkeit, Kostengünstigkeit, Wettbewerbsneutralität, Pflicht zu detaillierter Wirkungsanalyse, ja von politischer Überprüfung durch das Finanzdepartement die Rede.
Die Finma müsste bei jedem Entscheid darlegen, «inwiefern eine Regulierung der Finanzmarktpolitik des Bundesrats Rechnung trägt». Konkret könnte dies in Zukunft Folgendes heissen: Angenommen, die Finma wolle auf Begehren einer internationalen Aufsichtsbehörde die dubiosen Finanztransaktionen von saudischen Oligarch-Prinzen mit Wohnsitz am Genfersee in den Griff bekommen. Dann müsste sie die politischen Interessen des Bundesrats berücksichtigen und sich rechtfertigen. Denn Bundesbern möchte ja die Saudis als grosse Waffen-, Gold- und Schmuckeinkäufer sowie als G-20-Mitglied nicht vergrämen.
Eine solche politische Beschränkung einer Regulatorbehörde wäre ein Skandal. Der Finma-Verwaltungsrat lehnt diese Verpolitisierung der Bankenaufsicht entschieden ab. Auch der Internationale Währungsfonds forderte im jüngsten Schweiz-Gutachten die Unabhängigkeit der Finma.
Mit der Fintech-Revolution im Bankwesen kommen neuartige Risiken auf die Schweiz zu. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Bitcoin und andere Kryptowährungen im wildwestmässig wachsenden, nicht regulierten Finanzplatz Zug in den Fokus der internationalen Geldwäschereibehörden geraten. Die neuen Kryptowährungen soll man nicht verbieten, aber deren Agenturen müssen zwingend analog zu den Banken der Finanzmarktaufsicht unterstellt werden.
Mir kommt es vor, als erlebten wir erneut die wilden Neunziger- und Nullerjahre. Damals wurde die Eidgenössische Bankenkommission, die damalige schwache Bankenaufsicht, derart eingeschüchtert und eingegrenzt, dass 2008 das Bankendebakel geradezu zwangsläufig folgte. Die Kosten solcher Bankenderegulierung zahlt dann immer das Schweizervolk.