Ach, diese Berater!

Kolumne Strahm für Unternehmer-Zeitung UZ  Nr. 3-2012  März 2012.

Titelvarianten: Ach, diese Berater!

Mit der fundamentalen und teuren Reorganisation des 700-Personen-Betriebs war eine Produktivitätsverbesserung von 20% in Aussicht gestellt worden. Nach der Reorganisation resultierte effektiv eine 15- bis 20%ige Produktivitätsverschlechterung. Der Organisationsberater kassierte für seine Fehlleistung rund eine Million Franken Beratungshonorare und in den folgenden Jahren noch mehrere Hunderttausender dazu. Und bei den Schäden und Folgekosten seiner Reorganisation, die in hunderte von Millionen Franken gehen, trägt er keine Mithaftung.

Da passieren unglaubliche Dinge mit der Reorganisation und Umstrukturierung von Betrieben und Verwaltungen. Kaum jemand leuchtet in das Nachtschattengewerbe von Organisationsberatern, Personalconsultants, Projekt-  und Change-Managern und in deren nichthaftende Inkompetenz.

Das Beispiel, das ich eingangs beschreibe, betrifft das Bundesamt für Migration BFM, das 700-Personen-Monsteramt des Bundes. Zu dessen gescheiterter Reorganisation liegt ein transparenter, fünfzigseitiger Evaluationsbericht des Schweizer Managementprofessors Hans A. Wüthrich von der Bundeswehr-Universität München vor. Und die Etappen der Destruktion sind mit einem Dutzend Medienmitteilungen seit 2009 rückverfolgbar. Alle Dokumente sind im Internet des BFM einsehbar und transparent.

Beim Bund werden solche Fehlleistungen dank Verwaltungskontrolle und kritischer Presse jeweils transparent. In der Privatwirtschaft gibt es mindestens eben so viele Organisationsflops; nur bleiben sie meist als Insiderwissen im Verwaltungsrat versteckt und unterliegen der gegenseitigen Schonkultur der Verantwortlichen.

Die Verwaltungsreorganisation beim BFM basierte auf einem fundamentalen Misstrauensproblem und wurde ab 2009 von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf unter Beizug der Beratungsfirma Rexult AG Bern durchgezogen, einer in elektronischer Dokumentation spezialisierten Firma, die vorher noch nie einen so grossen, komplexen Betrieb reorganisiert hatte.

Das BFM kannte innert zehn Jahren vier verschiedene Departements-Chefs, jede(r) mit einer andern Ausländerdoktrin. Während der Jahre 2004-2007 unter Bundesrat Christoph Blocher wurden das Bundesamt und die kantonalen Migrationsämter heruntergefahren und auf  eine Kapazität von 10’000 Asylgesuchen zurückgestutzt. Dank der politischen Liaison Berlusconi-Gadhafi war der Flüchtlingsstrom aus Nordafrika in den Jahren 2005-2008 vorübergehend versiegt. Heute hat das BFM wieder, wie früher, zweieinhalb Mal mehr Asylgesuche zu bearbeiten. Die damalige Demontage unter Blocher ist eine organisatorische Hypothek von heute.

Zunächst wurde 2009 der BFM-Direktor Eduard Gnesa ohne Vorwarnung entlassen. Darauf wurde eine Dreierseilschaft mit der Firma Rexult, mit dem in Asylfragen unbelasteten Stabsmitarbeiter Jörg Gasser und mit der Finanzchefin Eveline Gugger Bruckdorfer gebildet. Alle drei hatten keine Erfahrung mit Asylprozessen, Asylrecht oder asylrechtlichen Rückschaffungsabläufen. Mit pseudowissenschaftlichem Lehrbuchwissen und Consulting-Geschwurbel wurde ein Totalumbau des BFM eingeleitet: Mit einem „Polyvalenz-Ansatz“ wurde die „A-bis-Z-Philosophie“ für eine „prozessorientierte Organisation“ vorgeschlagen und durchgedrückt: jeder Mitarbeiter soll die Bearbeitungskette von A bis Z, von der Gesuchsprüfung, Befragung, Entscheidung bis zum Vollzug selber betreuen und beherrschen. Die erfahrenen Länderteams wurden aufgelöst, die Rückführungsabteilung gänzlich aufgehoben, die vollzugsentscheidende Rückführungshilfe pulverisiert und auf zwei Direktionsbereiche und vier Abteilungen aufgeteilt und damit ihrer Wirkung beraubt.

400 von 700 Mitarbeitern des BFM mussten ihre Stelle und meist auch ihren Aufgabenbereich wechseln. 70 Kaderstellen mussten neu besetzt werden. 50 davon wurden neu ausgeschrieben; die bisherigen Kader mussten sich neu bewerben, wobei sich darauf 200 Bewerber um die 50 Plätze balgten. Praktisch die ganze Direktion mit einer Ausnahme wurde ausgewechselt, dem Amt gingen Führungskapazitäten, Prozesserfahrung und die Verbindung zu den vollziehenden Kantonen vollends verloren.

Das Resultat waren eine jahrelange Verunsicherung der Mitarbeiter, ein gigantischer Zügelaufwand, auseinander gerissene und neu zusammengesetzte Abteilungen und vor allem auch der Verlust aller Rückschaffungskapazitäten. Im Asylbereich ist der Vollzug, also Verwahrung, Rückkehr und Rückschaffung, absolut erfolgsentscheidend. Jeder Aufenthaltstag in einem betreuten Asylzentrum kostet 150-200 Franken pro Person, jeder Gefängnistag über 400 Franken. Gesamtkosten dieses Produktivitätseinbruchs und der Verzögerungen: viele hundert Millionen Franken.

Pikant ist auch, dass die für die Reorganisation mitverantwortliche Eveline Gugger Bruckdorfer darauf selber eine Hauptrolle in der BFM-Direktion als Chefin Asyl und Rückkehr übernahm und danach die Beratungsfirma Rexult mit neuen Folgeaufträgen bedachte.

Die Hauptknacknuss im Asylbereich, nämlich die langen Verfahren (im Durchschnitt 1500 Tage von der Erstanmeldung bis zum Vollzug), wurde von den verantwortlichen Reorganisations-Pseudoprofis nicht einmal angegangen. Die eigentliche Reform der Asylabläufe wird erst jetzt durch die neue Direktion an die Hand genommen, wobei auch Departements-Chefin, Bundesrat und Parlament einbezogen werden müssen.

Lehrreich an dieser gescheiterten Übung ist, dass die früheren Direktionsmitglieder allesamt vor den Folgen dieser Reorganisation gewarnt hatten und darauf eines nach dem andern in Ungnade fiel. Gewiss sind bei bisherigen Kadern oft auch versteckte Beharrungstendenzen und Besitzstandsinteressen im Spiel. Doch die Missachtung von erfahrenen Kadern zahlt sich nicht aus. In komplexen Systemen sind extern ausgedachte Reorganisationskonzepte über die Köpfe der Kader hinweg meist schädlich und kostspielig. Organisationsberater sind die falschen Engel!

Was haben wir in den letzten Jahren nicht alles an stets wechselnden Management-Doktrinen erleben müssen! Immer mit professoralem Imponiergehabe und geschraubter Blenderrhetorik vorgetragen und nach ein paar Jahren wieder stillschweigend versenkt. Da ist Misstrauen höchste Pflicht.

Externe Experten in Steuerfragen, für Marketingkonzepte, für EDV und weiterer Technologietransfer von aussen sind durchaus nutzbringend, ja unabdingbar für eine Firma. Aber im Organisationsbereich bringt das Peer-Prinzip mehr und bessere Resultate: Mit erfahrenen, externen Profis aus der gleichen Branche als Peers („Späher“), die schonungslos die Schwachstellen benennen, kombiniert mit einem entsprechenden starken Coaching, das die Reorganisation als Lernprozess vorantreibt, lässt sich mehr erreichen, als mit einer Beratungsfirma, die vor allem sich selber legitimieren und Folgeaufträge fischen will. Dabei braucht es vielleicht in zweiter Linie auch akademisches Lehrbuchwissen und Verkäufertalent; doch in erster Linie braucht es erlebte Erfahrung in Organisationen und gesunden Menschenverstand!

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