Kolumne im Tagesanzeiger/Bund vom 4. Juni 2013
Bundesbern war sichtlich stolz, ein Freihandelsabkommen mit der Volksrepublik China ankündigen zu können und dem chinesischen Ministerpräsidenten bei seinem Besuch zu hofieren. Denn schliesslich war die Schweiz in den letzten Jahren in Wirtschaftsverhandlungen nicht mit Erfolgen gesegnet. Und in der Bankenstrategie steht sie international mit dem Rücken zur Wand.
Die Schweiz ist das allererste Land ausserhalb Asiens, mit dem die Supermacht China ein Freihandelsabkommen abschliessen will. Sie gilt für China als übersichtlicher Testmarkt, in den sie in Zukunft vermehrt Agrarprodukte – wie chinesische Früchte, Gemüse, Poulets, Honig – aber zusehends auch Metallprodukte mit Zollvorteilen exportieren kann.
Viel mehr noch ist das technologiehungrige China an der schweizerischen Hochtechnologie interessiert. Was unsere Exportfirmen heute an Präzisionsinstrumenten, Messgeräten, Textilmaschinen, Automaten, Robotern und Hochpreisuhren exportieren, will China in den nächsten Jahrzehnten auch selber herstellen können. Die Langfriststrategie der Super-Weltmacht mit ihren 1300 Millionen Bewohnern heisst: Wegkommen von blossen Billigexporten von Textilien, Spielzeugen, Schuhen und Billigelektronik, dafür mehr Entwicklung der High-Tech-Produktion. Für dieses Ziel ist ein Freihandelsabkommen mit mannigfachen Kooperationsmöglichkeiten zwischen den High-Tech-Firmen für China gerade nützlich. Auch für die Schweiz ist der Handel mit China zunehmend wichtig und gewinnbringend.
Für die internationalen Konzerne und Handelshäuser ist der China-Handel sicher lukrativ. Aber Chinas Aussenhandel ist aus drei Gründen nicht (oder noch nicht) fair: Erstens hält der Staat den Wechselkurs seiner Währung Rinminbi durch Manipulation künstlich tief. Chinesische Waren müssten bei einem marktgerechten Wechselkurs mindestens 50% teurer sein. Zweitens wird in chinesischen Firmen, die für den Westen Massenkonsumgüter produzieren, systematisch Menschenschinderei betrieben. Freie Gewerkschaften sind weiterhin verboten und es werden Tiefstlöhne von einem Dollar pro Stunde, bei 50 Stundenwochen plus Überzeit, durchgesetzt. Und drittens lässt der chinesische Staat mehr als 3 Millionen Zwangsarbeiter in Arbeitslagern und Gefängnissen für die Exportproduktion schuften.
So positiv ein Freihandelsabkommen Schweiz-China offiziell präsentiert wird, so stürzt es jene ins Dilemma, die ethische Werte und Fairness-Prinzipien mit der Wirtschaftstätigkeit verbinden wollen.
Unter der Federführung der Erklärung von Bern und anderer zivilgesellschaftlicher NGOs haben 23 000 Leute mit einer Petition mehr Menschenrechte, Umweltschutz und Nachhaltigkeit im China-Handel gefordert. Einige liebäugeln jetzt mit dem Referendum gegen das China-Abkommen.
Wie soll man sich in diesem Dilemma verhalten? Es gibt auch hier nicht nur ein Ja oder Nein, nicht nur schwarz oder weiss. Es braucht eine Kompromissstrategie. Deren Hauptelement ist ein verstärkter Druck über die Konsumentenmacht auf die chinesischen Produzenten und Exporteure.
Ich halte eine Bekämpfung des Freihandelsabkommens mit einem Referendum nicht für zielführend. Sie ist symbolisch, aber nicht wirksam. Denn der Staat China ist resistent und pickelhart gegen jede politische „Einmischung“ von aussen. Doch die Erfahrung zeigt: Bei gezielter, publikumswirksamer Kritik an chinesischen Exportfirmen reagieren sowohl die kommunistische Regierung mit strengeren Gesetzen als auch die Firmen selber durch Anpassung der Arbeitsbedingungen. In China weiss man, dass Reputation und Image bei den Konsumenten im Westen matchentscheidend sind.
Die wirksamste Strategie gegen Menschenschinderei und Lohndumping in China ist „Naming and Shaming“, also Benennen und Beschämen der dortigen Firmen durch Information der hiesigen Konsumenten: Die Arbeits- und Umweltschutzverhältnisse in chinesischen Fabriken durch Nachforschungen und Monitoring überprüfen. Die fehlbaren Firmen benennen. Die Importeure und hiesigen Bekleidungsfirmen anprangern und im Extremfall boykottieren, wenn sie die internationalen Sozialstandards nicht einhalten. Das „Clean Cloth“-Konzept erweist sich als wirksame Strategie zur Durchsetzung minimaler Sozial- und Ökostandards. Die gezielte Politik der NGOs für eine „Corporate Social Responsability“ mit Sozial- und Ökostandards, die sogar von der Weltbank übernommen worden ist, hat bei chinesischen Exportfirmen schon Verhaltensänderungen bewirkt.
Den chinesischen Drachen bändigt man nicht mit politischem Druck von aussen, sondern mit dem Einsatz ökonomischer Druckmittel, mit gezielter Anprangerung fehlbarer Firmen und schmutziger Praktiken.
Dem Bundesrat muss man zugutehalten, dass er mit einem Parallelabkommen über „handelsrelevante Arbeitsfragen“ zusätzlich zum Freihandelsvertrag auch die Sozialstandards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO ins Vertragswerk Schweiz-China aufgenommen hat. Es enthält zwar keine Sanktionsmöglichkeiten, aber es legitimiert die zivilgesellschaftlichen Organisationen, Druck aufzubauen.
Der Bund selber kann nicht Boykotte ausrufen, aber er hat die zivilgesellschaftlichen Organisationen beim Nachprüfen vor Ort und beim Monitoring von Sozial- und Ökostandards zu unterstützen. Denn die gezielte Informationsbeschaffung in asiatischen Exportfirmen ist aufwändig, aber für die Konsumenteninformation unverzichtbar. Wenn der Bund schon Dutzende Millionen an Steuerfranken für die Handelsförderung ausgibt – für teils sinnlose Aktivitäten von OSEC und Präsenz Schweiz – dann kann und muss er auch etwas aufwenden für die Kontrolle der Produktionsbedingungen vor Ort durch die Zivilgesellschaft.
Gegen eine Öffnung unserer Lebensmittelmärkte für Produkte aus China ist nichts einzuwenden. Aber die Kantonslabors müssen zur Verdichtung der Kontrollen von Lebensmittelimporten aufgestockt werden.
Ohne solche Schutzmechanismen wird „Freihandel“ noch mehr zu einem Schimpfwort werden. Die Welthandelsorganisation WTO muss dies schmerzlich erfahren: Sie hat sich durch ihre soziale und ökologische Blindheit mit ihrer Freihandelsdoktrin weltweit selbst lahmgelegt.
Rudolf Strahm
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