Parteifarbe statt Kompetenz. Der Bildungsstaatssekretär

Tages-Anzeiger – Dienstag, 29. Mai 2012

Erstaunlich, wie wenig diese personelle Weichenstellung im schweizerischen Bildungswesen kommentiert worden ist, nachdem der Bundesrat den Tessiner Mauro Dell’Ambrogio letzte Woche zum Staatssekretär für Bildung, Forschung und Innovation ernannt hatte.

Einzig der Schweizerische Gewerbeverband, der wichtigste Berufsbildungsträger im Lande, zeigte sich konsterniert über diesen «mehr als fragwürdigen Entscheid». Und die «Neue Zürcher Zeitung» stellte behutsam die Frage nach der Eignung des Ernannten für diese hochwichtige Bundesstelle: «In seiner bisherigen Tätigkeit als Staatssekretär ist er jedenfalls nicht durch Innovationskraft aufgefallen. Mehr Gestaltungswillen wird er aber als neuer Bildungs-Chefbeamter zeigen müssen», kommentierte die NZZ.

Im Tessin frohlockte man über diesen hohen Bundesposten für einen Tessiner. Doch für Kenner der schweizerischen Bildungslandschaft ist dies die Worst-Case-Wahl. Denn aus der Sicht der Berufsbildung, der Weiterbildung und der Bundeskoordination des Ausbildungswesens ist sie ganz klar eine Weichenstellung in Richtung Akademisierung und Lateinisierung der schweizerischen Bildungslandschaft, auch wenn der Gewählte seit letztem Mittwoch plötzlich auffallend häufig von Berufsbildung spricht. Dell’Ambrogio hat im Tessin und in Bundesbern die Berufsbildung stets als zweitrangig behandelt. Er fiel als vehementer Kämpfer gegen eine Bundesgesetzgebung für die Weiterbildung auf. Hätte das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) dieses Gesetzesprojekt mithilfe von Bundesrätin Doris Leuthard nicht an sich gezogen, läge es heute noch in Dell’Ambrogios Schublade.

Es gibt kaum jemand in der schweizerischen Bildungslandschaft, der dem Juristen Dell’Ambrogio eine hohe Führungskompetenz in der Bildungspolitik zugestanden hat, weder unter den kantonalen Bildungsund Erziehungsdirektoren noch in der KMU-Landschaft noch in der Bildungsund Weiterbildungsszene. Die Universitäten, die sich vom Staat unter dem Siegel der «Hochschulautonomie» nicht dreinreden, sondern bloss finanzieren lassen wollen, haben jedoch die Wahl Dell’Ambrogios begrüsst.

Wer ist Mauro Dell’Ambrogio? Im Tessin kennen ihn alle. Er wird dort selbst von Freunden als «ultraliberal» etikettiert, als Mann vom «rechten Parteiflügel der FDP», der sich in der italienischen Schweiz für den Aufbau einer eigenen akademischen Hochschule stark gemacht hatte. In seiner Berufskarriere hatte der liberale Jurist kaum eine jener Staatspfründen ausgelassen, die der Kanton Tessin für Abkömmlinge alter Politikerdynastien anzubieten hat: Nacheinander war er Richter, Polizeikommandant im Kanton, Departements-Generalsekretär, Spitalverwaltungsdirektor, Fachhochschuldirektor, freisinniger Grossrat und Fraktionspräsident, dem dann der Sprung in die Tessiner Kantonsregierung allerdings parteiintern verwehrt wurde. Darauf wurde er von Pascal Couchepin, der in seinen Bundesämtern freisinnige Parteifreunde einzusetzen pflegte, nach Bern geholt. Jetzt erhält er die Führung des Super-Staatssekretariats in Bern quasi als Wanderpreis dafür, dass man ihn immer herumgereicht hat.

Anlass zur Staatssekretärenwahl ist die Fusion der beiden Ämter, nämlich des Staatssekretariats für Bildung und Forschung SBF, das die Universitäten betreut und finanziert, und des Bundesamts für Berufsbildung und Technologie. Dieser Zusammenschluss ist nicht bloss ein organisatorischer Schritt, es ist vielmehr der zweifelhafte Versuch einer Verschmelzung zweier unterschiedlicher Bildungskulturen mit unterschiedlicher Tradition: Da ist einerseits die immer arbeitsmarktfernere Universitätskultur, die sich stärker nach dem europäischen Bologna-System orientiert und sich in die Richtung der akademischen Massenproduktion europäischer Hochschulen bewegt.

Und da ist auf der anderen Seite die helvetisch gewachsene Berufsbildungskultur, die auch die praktische Intelligenz der jungen Menschen fördert und sich mit einer Kombination von Fachwissen, Praxis und Transferkompetenzen auf die Berufsqualifikation und höhere Berufsbildung ausrichtet.

Diese Fusion der zwei Bildungskulturen, von der viele Fachleute abgeraten haben, wird jahrelange Energieverluste einfordern, die Bildungspolitik des Bundes lahmlegen und das ganze Bildungssystem dem Akademisierungstrend unterwerfen.

Der Entscheid des freisinnigen Wirtschaftsministers Schneider-Ammann für den ehemaligen freisinnigen Politiker Mauro Dell’Ambrogio ist ein Entscheid zweiter Wahl, nachdem der erste Anlauf mit dem fähigen ETH-Vizepräsidenten Roman Boutellier verpatzt worden ist. Man hätte gewiss Verständnis für die Berufung einer aussenstehenden, neuen Führungsperson gehabt. Doch die Präsidentin der Bildungsdirektorenkonferenz, Isabelle Chassot, erhielt von Schneider-Ammann nie eine Anfrage.

Schneider-Ammanns Entscheid für Dell’Ambrogio ist mithin auch ein Entscheid gegen die Berufsbildung und gegen BBT-Direktorin Ursula Renold, die sich während Jahren für die Berufslehre starkgemacht und in der Bildungsszene einen kompetenten Ruf genossen hatte. Sie wird das Amt verlassen. In den kommenden Jahren wäre auf Bundesebene eine starke Hand in der Bildungslandschaft nötig. Das neue Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetz HFKG schafft ein kompliziertes bürokratisches Organisationsmonster und führt zu einer Rekantonalisierung der Fachhochschulen. Der 15-köpfige Hochschulrat wird aus einem Bundesvertreter und 14 kantonalen Regierungsräten zusammengesetzt sein, die naturgemäss und verständlicherweise zuerst immer an ihren Kanton denken. Eine koordinierende Hand des Bundes wäre nötig, um den kantonalen Wirrwarr und die regionalen Sonderinteressen zu zügeln.

Die grösste Baustelle im Berufsbildungsbereich betrifft indes die höhere Berufsbildung. Ihre Aufwertung durch eine bessere Titelanerkennung und Finanzierung wird im Zeichen der Personenfreizügigkeit und des Fachkräftemangels zur Schicksalsfrage für die Zukunft unseres Berufsbildungssystems. Auch hier wäre eine kompetente, praxisorientierte Führung des Bundes nötig.

Gerade Bundesrat Johann Schneider- Ammann hätte es nötig gehabt, zur Kompensation seiner Defizite eine kompetente und allseits akzeptierte Führungsperson für die Integration der beiden Bildungskulturen und die zukünftige Bildungspolitik einzusetzen. Doch einmal mehr galt Parteicouleur mehr als Fachkompetenz. Diese parteipolitische Klientelwirtschaft muss ein Ende haben

 

Parteifarbe statt Kompetenz. TA- und Bund-Kolumne46, 29. Mai 2012.

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