Im Dilemma zwischen Abzockern und Heuschrecken

Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 13. November 2012

Sie kommt extrem populär daher, die Abzockerinitiative des Mundwasserfabrikanten Thomas Minder, über die wir im nächsten März abstimmen werden. Sie ist eine typische «Bauch-Initiative» – vom Bauch her neigt man spontan zum Ja. Ihre Annahme ist wahrscheinlich, denn die Wut und Enttäuschung über die Millionenboni von Topmanagern und Verwaltungsräten der grossen Aktiengesellschaften – oftmals ausgeschüttet ohne Bezug zur unternehmerischen Leistung – ist weit verbreitet.
Der einzige aktive Gegner der Abzockerinitiative, der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, der auch den Abstimmungskampf finanzieren wird, hat wegen der krummen Touren bei der Unternehmensbesteuerung jede Glaubwürdigkeit verspielt. Zudem fuhr er während der jahrelangen parlamentarischen Beratung des Gegenvorschlags einen peinlichen Zickzackkurs.
Die Abzockerinitiative wird aber nie das halten können, was sie dem Bürger verspricht. Entgegen der landläufigen Ansicht fordert sie keine Obergrenze für Vergütungen und Boni, sondern nur die aktienrechtliche Pflicht, dass die Aktionärsversammlung die Vergütungen des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung jährlich verbindlich beschliessen. Für die Initianten ist der Aktionär der «König».
In der Praxis hat aber genau diese Regelung in England und Amerika kaum eine Einschränkung der Boni-Wirtschaft gebracht. Werden nämlich die gierigen Aktionäre kurzfristig generös entschädigt, genehmigen sie dem Verwaltungsrat auch die exzessivsten Boni. Die viel beschworene Selbstregulierung der Aktionäre funktioniert nirgends. Die Linke lässt sich durch die kapitalismuskritische Anti-Abzocker-Rhetorik des Hauptinitianten blenden.
Diese begründeten Zweifel an der Wirksamkeit der Abzockerinitiative genügen meines Erachtens nicht, sie abzulehnen. Doch hinzu kommt: Sie hat einen gefährlichen Pferdefuss, der hinter aller Emotionalität gegen die Abzockerei versteckt ist: Nach dem Initiativtext soll die Aktionärsversammlung Jahr für Jahr jedes Verwaltungsratsmitglied, den Verwaltungsratspräsidenten und jedes Mitglied des Vergütungsausschusses einzeln wiederwählen oder abwählen können. Damit wird der Verwaltungsrat gefährlich destabilisiert und die ganze Aktiengesellschaft zum Spielball von aktivistischen Aktionären, sogenannten Heuschrecken.
Heuschrecken oder Private-Equity- Gesellschaften sind Fonds oder Finanzgesellschaften, die kurzfristig und oft mit verdeckten Tricks eine Firma unter ihre Kontrolle bringen, ihre Strohmänner im Verwaltungsrat platzieren, die Firma «rentabilisieren », aufteilen, filettieren und dann mit Gewinn wieder abstossen.
Mit der Minder-Initiative bekämen aktivistische Aktionäre zusätzliches Übergewicht, weil sie die Depotstimmen der Banken und der Organe verbieten will, sodass nur noch die an der Aktionärsversammlung anwesenden oder explizit mandatierten Stimmen zählen würden. Weil meist viel weniger als die Hälfte der Aktionärsstimmen anwesend sind, kann eine gut organisierte Aktionärsgruppe bereits mit 10, 20 Prozent Stimmenanteil eine Gesellschaft unter ihre Kontrolle bringen und diese mit einer orchestrierten Strategie für ihre kurzfristigen oder spekulativen Interessen instrumentalisieren.
Diese Bedenken sind nicht theoretisch, sondern durch die bittere Erfahrung der letzten 15 Jahre erhärtet. Firmen wie Lonza oder die ehemalige Schweizerische Bankgesellschaft waren zum Spielball der Visionen von Martin Ebner und Co. geworden, mit bitteren firmenpolitischen Konsequenzen. Die österreichisch- kroatische Victory der inzwischen gestrauchelten Mirko Kovacs und Ronny Pecik, die britische Laxey, der russische Oligarch Viktor Vekselberg: Sie alle hatten als aktivistische Aktionäre ehemalige Flaggschiffe der schweizerischen Industrie angegriffen mit dem Ziel, sie unter ihre Kontrolle zu bringen.
Auch Firmen wie Sulzer, Saurer, Oerlikon/Unaxis, Implenia, Ascom waren Zielscheiben solcher Angriffe. Heute beherrscht Oligarch Vekselberg drei Schweizer Maschinenkonzerne. Die Kleinaktionäre haben heute und auch mit der Abzockerinitiative kein Stimmengewicht an den Generalversammlungen. Was ihnen bleibt, sind verbale Attacken, wie Thomas Minder sie fernsehtauglich inszeniert.
Der gesetzliche Gegenvorschlag des Parlaments (über den wir nicht abstimmen) kommt den Forderungen Minders nach mehr Aktionärseinfluss weit entgegen – meines Erachtens zu weit. Aber er lässt immerhin zu, dass die Verwaltungsräte weiterhin für drei Jahre gewählt werden können, was heute die Regel ist. Eine jährliche Einzelwiederwahl ist ein Unfug und destabilisiert eine Firma. Kurzfristiger Opportunismus und Führungslosigkeit sind die Folgen.
In der Wirtschaftswelt gibt es zwei gegensätzliche Doktrinen über die Corporate Governance, also die Führung einer Grossunternehmung. Da ist einerseits die neokonservative dogmatische Überhöhung des Aktionariats: Der Aktionär soll als Alleineigentümer der Aktiengesellschaft das ungeteilte und unregulierte Verfügungsrecht über sie erhalten. Martin Ebner, Christoph Blocher oder eben Thomas Minder sind Exponenten dieses Dogmas.
Dort ist anderseits die modernere Auffassung, eine Unternehmung müsse neben der Befriedigung der Aktionäre (Shareholder) auch die Stakeholder, also die Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten und die öffentlichen Interessen, befriedigen, ja, eine Unternehmung sei in gewissem Mass sozialpflichtig. Verwaltungsrat und Geschäftsleitung müssten im Kräftedreieck mit der Aktionärsversammlung auch die langfristigen Firmeninteressen zur Geltung bringen. Zu dieser Meinungsgruppe gehört die Mehrzahl der traditionellen schweizerischen Industrieführer. Johann Schneider-Ammann ist einer unter vielen. Auch Gewerkschaftschefs wie Daniel Lampart oder Martin Flügel sind deswegen Gegner der Abzockerinitiative.
So populär und populistisch die Abzockerinitiative daherkommt: Bei näherem Hinsehen belässt sie die Bürger in einem schweren Dilemma, nämlich dort, wo es um die Frage geht, ob die Verhinderung der Abzockerei oder die Abwehr von Heuschrecken wichtiger sei. Ich halte den realen Schaden der Initiative für die Stabilität der Industriefirmen für grösser als der Vorteil, den sie uns verspricht.   

Im Dilemma zwischen Abzockern und Heuschrecken (PDF)

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