Ermottis Plan unter der Lupe

Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 17. März 2015

In einem breit inszenierten Aufruf in mehreren Tageszeitungen proklamierte UBS-Konzernchef Sergio Ermotti eine «neue Realität» nach dem Frankenschock. Er präsentierte ein wirtschaftspolitisches Programm zur Rettung der Schweiz. Flugs provozierte sein Brandstifter-Text den Zorn der Linken und eine Flut von Leserbriefen und Blogprotesten. Alle Parteispitzen fühlten sich zu raschen Stellungnahmen gedrängt. Die PR-Strategen hatten allerdings übersehen, dass die hochumstrittene UBS als Absenderin der Botschaft nicht optimal gewählt war.

Wenn wir vom bekannten ideologischen Deregulierungs- und Antibürokratie- Geschwurbel mal absehen, gegen das Bürger und Bundesbern heute stärker immun sind: Was steckt materiell an wirtschaftlicher Substanz in Ermottis «Rettungsplan für das Erfolgsmodell Schweiz»?

Die Kritiker hatten es sich zu leicht gemacht und sich bloss auf ideologischer Ebene eingeschossen. Ich habe mich der Mühe unterzogen, den ökonomischen Gehalt jenseits der ideologischen Verpackung herauszuarbeiten. Was will Ermotti, was wollen die Grossbanken, konkret von Bundesbern?

Im Kern ist der Forderungskatalog eine Mobilisierung gegen die aktuelle Regierung, speziell gegen die Finanzministerin, aber ganz klar auch gegen die Interessen anderer Wirtschaftszweige, wie nachstehend gezeigt wird.

Ich habe die Eidgenössische Steuerverwaltung gebeten, die Kosten der steuerpolitischen Vorschläge des obersten UBS-Chefs zu berechnen. Die Abschaffung der Stempelsteuern würde dem Bund 2,1 Milliarden Franken Ausfälle pro Jahr bescheren, die Abschaffung der Emissionsabgaben auf Eigenkapital allein etwas mehr als 0,2 Milliarden. (Die Beibehaltung von Stempelsteuern galt immer als gerechter Ausgleich zur Mehrwertsteuerbefreiung der Banken.) Dazu fordert Ermotti die Unternehmenssteuerreform III ohne jede Kompensation mit Kapitalgewinnsteuer. Damit würde diese Reform dem Bund jährliche Steuerausfälle von 3,9 und den Kantonen von weiteren 0,8 Milliarden bescheren. Solche Forderungen kommen ausgerechnet von jener Grossbank, die seit ihrer Rettung durch den Staat bis ins Jahr 2018 dank der Verlustvorträge keine Gewinnsteuern abliefern wird. Aufschlussreich ist Ermottis Liste jener Gesetzesprojekte, die er zur Deregulierung und Zurückstufung empfiehlt. Konkret will die UBS abgespeckte Vorlagen beim Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg), beim Finanzinfrastrukturgesetz (Finfrag) und im Aktienrecht. Mit Fidleg und Finfrag sollten der Anlegerschutz verstärkt, die vorherrschende Täuschungskultur durch mehr Transparenzpflichten korrigiert, die Sicherheit der Beratung verbessert und die Haftung der Banken gegenüber dem Anleger verstärkt werden.

In der Finanzkrise hatte die UBS ein halbes Dutzend ihrer Anlagefonds über Nacht geschlossen und liquidiert. Tausende von Wohlhabenden, notabene nicht die Kleinsparer, sondern Gewerbetreibende, KMU-Inhaber, Selbstständigerwerbende, Pensionskassen wurden mit ihren Vorsorgevermögen geschädigt. Bei Klagen waren alle Geschädigten chancenlos.

Ermotti fordert nicht den Verzicht auf diese Gesetze, sondern keine «unverhältnismässigen Rechtsdurchsetzungsforderungen ». Im Klartext heisst dies: Gesetzesregeln ohne Biss, keine Beweislastumkehr, kein Schiedsgericht, keine Gruppenklagen, dafür aber neue Hürden, die dem geschädigten Anleger das Prozessieren vergällen. Nach der Vernehmlassung ist nun der Bundesrat praktisch auf der ganzen Linie den Banken gefolgt. Benachteiligt werden dadurch gerade die wohlhabenden Anleger und KMU-Inhaber, die auf solide Vermögensanlagen angewiesen wären.

Diese Kundenschutzgesetze bringt der Bundesrat übrigens in Anlehnung an die in der EU verschärften Anlegerschutzregeln (Mifid II). Die Schweizer Banken werden in Zukunft nämlich nur dann zum europäischen Markt zugelassen, wenn sie den gleichen Verhaltensregeln auch in der Schweiz unterstellt sind. Die abgespeckte Gesetzgebung ist indes nicht mehr gleichwertig wie die Mifid-Richtlinie. Es ist leicht vorauszusehen, dass die Banken – man kennt dies schon – vom Bundesrat vorwurfsvoll fordern, er müsse sich im Ausland für ihre Interessen einsetzen.

Aufschlussreich ist auch, dass Ermotti eine schwächere Umsetzung der Aktienrechtsreform fordert. Ihr Kernstück ist der definitive Vollzug der angenommenen Minder-Initiative gegen die Boni-Wirtschaft (Abzockerinitiative). Auch hier will Ermotti, der letztes Jahr für sein mässiges Abschlussresultat der UBS unangemessen hohe 11 Millionen Franken persönliche Entschädigungen kassierte, einen möglichst schwachen Staat. Sein «Rettungsplan» für die Schweizer Wirtschaft ist bei näherer Analyse vor allem ein verpacktes Privilegienprogramm für Grossbanken und einige Grosskonzerne.

Aufschlussreich ist, wo sich Ermottis «Rettungsplan» ausschweigt. Die nach dem Frankenschock drängendste Massnahme mit grösster Breitenwirkung wäre ein kartellrechtlicher Befreiungsschlag gegen die Hochpreislieferungen ausländischer Konzerne und Markenartikler. Schweizer Konsumenten und KMU zahlen nach dem Frankenschock rund 15 Milliarden Franken zu viel ans Ausland. Aber die UBS ist vom Hochpreisproblem nicht betroffen, denn der Bankkonzern organisiert seine Auslandseinkäufe für Computer und Büroeinrichtungen mit der eigenen Einkaufsgesellschaft Chain IQ über ihre Filialen im Ausland. KMU können solches nicht.

Eine dringende wirtschaftspolitische Massnahme wäre gewiss die rasche Erhöhung der Eigenmittelvorschriften bei den Grossbanken. Derzeit verfügen UBS und Credit Suisse nur gerade über 3,0 respektive 2,4 Prozent hartes Eigenkapital, gemessen an ihren gesamten Anlagen (ungewichtet; bei den andern Schweizer Banken sind es 6 bis 10 Prozent). Damit sind sie nach dem Barclays-Rating die am schlechtesten kapitalisierten Grossbanken der Welt.

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