Der Fluch des Steuerwettbewerbs

Kolumne im Tages-Anzeiger – Dienstag, 29. Juli 2014

Es ist wieder einmal Nachdenken über die Schweiz angesagt. In unzähligen 1.-August-Reden werden wir die bekannten Textbausteine zu hören bekommen. Die einen werden die Neutralität und den Rückzug in die schweizerische Souveränität beschwören, die andern hoffnungsfroh die unvermeidliche Einbindung in Europa herbeireden. Manche werden die ideologische Spaltung der Schweiz nach dem 9. Februar bedauern – oder gar polemisch schüren, wie unlängst der elitäre Club Helvétique. Doch kaum jemand wird das ökonomische und fiskalische Auseinanderdriften der Schweiz thematisieren.

Es gab in der Schweiz immer schon ärmere und reichere Regionen. Doch der heutige Steuerwettbewerb unter den Kantonen stellt alle bisherigen Disparitäten in den Schatten. Die Schweiz driftet auseinander.

Einige Kantone, vornehmlich solche mit Seeanstoss, haben Tiefststeueroasen geschaffen mit einem intransparenten Geflecht von Steuerprivilegien, Pauschalsteuern und Sondersteuern für ausländische Superreiche sowie für Sitz- und Holdinggesellschaften. Mit ihrer Anziehungskraft stiehlt diese Gruppe, zu der Zug, Schwyz, Nidwalden, die Waadt und Genf gehören, der ganzen Welt und den andern Kantonen jedes Jahr mehr Steuersubstrat. 18 Kantone mit ländlichen Strukturen sind da schwer ins Hintertreffen geraten.

Das Wachstumsmodell der Steueroasen beruht nicht auf grösserer Tüchtigkeit und produktiver Wertschöpfung, sondern auf einer Monacoisierung mit gesicherten Supervillen und undurchsichtigen Firmensitzen. Rund 22 000 ausländische Firmen haben mit Holding- oder Domizilgesellschaften Sitz in der Schweiz genommen. Sie bringen ihr Personal zu erheblichen Teilen aus dem Ausland mit und profitieren von der Stabilität und der Infrastruktur unseres Landes, ohne dafür zu bezahlen.

Zum Beispiel der aus Südafrika stammende Multimilliardär Ivan Glasenberg: Seit zwei Jahren ist er in der Schweiz eingebürgert, doch eine Landessprache spricht er bis heute nicht. Die von ihm geführte, weltgrösste Rohstoffhandelsfirma Glencore Xstrata mit Sitz in Zug zahlt dank Ausreizung der Unternehmenssteuerreform II, die Hans-Rudolf Merz uns als Bundesrat beschert hat, auf Jahre hinaus keine Gewinnsteuern. Trotzdem gilt der Konzern, der für Umweltschäden in Entwicklungsländern verantwortlich ist, jetzt natürlich als schweizerische Firma.

Zum Beispiel der russische Oligarch und Multimilliardär Viktor Vekselberg: In Zürich versteuerte er pauschal nur seine Wohnung und nicht sein Vermögen. Als der Kanton 2010 per Volksabstimmung die Pauschalbesteuerung für ausländische Superreiche abschaffte, verlegte er seinen Wohnsitz flugs nach Zug. Dort geniesst er nun das Privileg der Pauschalbesteuerung, obschon er weiterhin die Zentrumsleistungen der Stadt Zürich ausnützt.

Die Steuerdumping-Kantone Waadt und Genf haben mehr Pauschalsteuerabkommen mit ausländischen Superreichen abgeschlossen als alle andern Kantone zusammen. Und sie haben mit einem undurchsichtigen Netz von Steuerprivilegien mehrere Hundert global tätige Rohstoffhandelsgesellschaften an Land gezogen, die kaum Steuern zahlen, aber die schweizerische Infrastruktur und den Geheimnisschutz für ihre internationalen Geschäfte nutzen. Im monacoisierten Genferseegebiet sind die Boden- und Liegenschaftspreise in den letzten Jahren denn auch buchstäblich explodiert, was es den Einheimischen zunehmend schwer macht, erschwingliche Wohn- und Geschäftsräume zu finden.

Ein Netz von Baulöwen, Immobilienmaklern, Anwälten und Politikern bemüht sich in den Steueroasen um die internationalen Firmen – und darum, dass die Steuerprivilegien auf keinen Fall aufgehoben werden. Jahrelang glaubten die Lokalpolitiker in Zug, Schwyz, Waadt oder Genf, mit der Ansiedlung von Superreichen selber reich zu werden. Jahrelang ist ihre Rechnung aufgegangen. Doch jetzt ist die Bilanz gekippt.

Der Steuersenkungswettbewerb nach unten, ein Race to the Bottom, hat diese finanzstarken Kantone schnell ins Defizit getrieben. Ihre Finanzdirektoren haben die Schuld für ihre steuerpolitischen Fehlleistungen aber umgehend dem interkantonalen Finanzausgleich zugeschoben. Ihre Beiträge müssten reduziert werden, fordern sie im Chor. Wortführer dieser Ego-Schweiz ist der Zuger Finanzdirektor Peter Hegglin, der obendrein auch noch die Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren präsidiert.

Der nationale Finanzausgleich (NFA), von Bundesrat Kaspar Villiger ersonnen und 2004 vom Volk angenommen, war von Anfang an eine Fehlkonstruktion, weil er nicht verknüpft ist mit einer allgemein gültigen Steueruntergrenze für Firmen und Reiche. Selbst die Chefbeamten, die ihn konstruierten, gestehen das heute ein. Gehuldigt wurde der Glaubensdoktrin des Steuerwettbewerbs (der in keiner Verfassung steht); übersehen wurde dabei der globale Trend, dass Konzerne und Reiche immer mobiler werden.

Heute sollte der NFA dringend ergänzt werden durch einen schweizweiten Minimalsteuersatz in den Kantonen für die Besteuerung von Firmen und hohen Einkommen. Ohne diese Korrektur wird der NFA bis 2025 in sich zusammenbrechen.

Nun scheint das helvetische Auseinanderdriften noch verstärkt zu werden. Der Auslöser: Die EU verlangt – mit vollem Recht –, dass die kantonalen Sonderprivilegien und Steuergeschenke für Holding- und Sitzgesellschaften gestrichen werden. Statt die Besteuerung der Holdinggesellschaften auf schweizerisches Niveau anzuheben, wollen die Ego-Kantone die Gewinnsteuersätze generell von durchschnittlich 22 auf 16 Prozent nach unten korrigieren. Die Ausfälle werden sich landesweit auf 3 bis 4 Milliarden Franken jährlich belaufen.

Aber da machen die Verteidiger der Ego-Schweiz die Rechnung vermutlich ohne das Volk. Eine Monacoisierung mit schlaumeierischen Sonderkonditionen und Lizenzboxen zum Verstecken von Konzerngewinnen ist auf Dauer nicht nachhaltig und nicht haltbar. Wenn die ausländischen Rohstofffirmen, Holdinggesellschaften und Oligarchen nicht bereit sind, mehr an unsere teure Infrastruktur zu zahlen, und mit Abwanderung drohen, dann sollte man ihnen beim Zügeln helfen.

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