Asylintegration: Wer den Wohlstand sucht, soll ihn erschaffen helfen.

Kolumne im Tagesanzeiger/Bund vom 15.12.2015

Bund, Kantone und Gemeinden raufen sich, nicht ohne Erfolg, um die Zuteilung der Betten und Unterkünfte für die Flüchtlinge. Bis Ende Jahr werden es über 30’000 sein, zusätzlich zu den laut der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) rund 42’000 Asylpersonen mit Bleiberecht, die schon zwischen 2010 und 2014 zu­gewandert waren. Die Unterbringung dieser Migrationspersonen ist eine gewaltige Leistung, die bisher ohne das vorausgesagte «Asylchaos» vonstattenging.

Unterbringung ist allerdings die einfachere Aufgabe. Die Herkulesaufgabe der längerfristigen Arbeitsintegration steht erst bevor. Die Erfahrung zeigt, dass die Asylpersonen bleiben wollen und rechtlich meist bleiben dürfen. Auch nach Jahren sind zwei Drittel von ihnen arbeitslos; und laut Bundesamt für Statistik sind 83 Prozent Sozialhilfebezüger. Nun hat Ende November die Skos mit einem vierzehnseitigen Papier «Arbeit statt Sozialhilfe» Alarm geschlagen. Diese subs­tanzielle Situationsanalyse der Skos unter neuer, pragmatischer Führung hätte mehr Widerhall verdient (www.skos.ch). Die Skos betrachtet die arbeitsmarktliche Nichtintegration einer so  hohen Zahl von Asylpersonen als sozialpolitische und finanzielle Zeitbombe. Die Aufwendungen für Sozialhilfe von Kantonen und Gemeinden würden aufgrund der Asylentwicklung in den kommenden Jahren massiv ansteigen, mit entsprechenden Verdrängungseffekten gegenüber anderen ­kommunalen Aufgaben.

«Klar unzureichend»

55 Prozent der Asylsuchenden sind laut Skos jünger als 25. Grossmehrheitlich sind es junge, gesunde Männer, die arbeiten könnten, aber auch nach mehreren Jahren Aufenthalt nicht arbeiten! Die Skos fasst ihre Erfahrungen so zusammen: «Die bisherigen Massnahmen zur beruflichen Integration von Personen mit Bleiberecht sind in der Schweiz klar unzureichend. Es ist trotz Sprachkursen und aufwendigen Integrationsprogrammen nicht gelungen, die Mehrzahl dieser Personen nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.» Seit Monaten fordert die Skos ungehört einen runden Tisch zur Integrationsfrage.

Der Schweizerische Arbeitgeberverband baut ausschliesslich auf die Personenfreizügigkeit und verweigert ein verpflichtendes Asylintegrationsprogramm für die Wirtschaft. Neben einigen Bauernbetrieben sind es nur wenige Firmen wie Planzer, Ikea und Caran d’Ache, die löblicherweise freiwillig ein Programm für Flüchtlinge anbieten.

Wo der private Arbeitsmarkt versagt, braucht es indes Beschäftigungsprogramme in den Gemeinden. Dort gibt es gewiss genügend Arbeit bei der Reinigung von Quartieren, Wäldern und Parks, bei Entsorgungs- und Aufräumarbeiten, in Werkhöfen und andern Gemeindediensten!

Wer trägt eigentlich die Verantwortung für diese organisierte Unzuständigkeit? Da ist erstens das föderalistische Problem: Jeder Kanton regelt selber, wie Asylpersonen unter welchen Programmen öffentliche Unterstützung erhalten. Es gibt heute keine vergleichbaren Integrationsziffern, die ein Monitoring der kantonalen Anstrengungen ermöglichen.

Da ist zweitens das IIZ-Problem, also die Mängel in der interinstitutionellen Zusammenarbeit zwischen Migrationsbehörden, Sozialämtern, IV-Stellen, RAVs und Hilfswerken. Unterstützungsfälle werden hin- und hergeschoben, und zu viele gut gemeinte Pilotmodelle haben keine Breitenwirkung.

Da ist drittens das unklare Finanzierungs- und Anreizsystem. Die Kantone respektive Gemeinden sind zwar für die Sozialhilfezusprechung zuständig, aber der Bund vergütet ihnen diese Auf­wendungen während 5 Jahren für Flüchtlinge und 7 Jahren für vorläufig Aufgenommene. Der Kostenträger ist nicht Entscheidungs- träger – der Bund kann als Zahler nicht steuern.

Vorbild Arbeitslosenversicherung

Bei der Arbeitslosenversicherung haben wir demgegenüber ein vorbildliches, effizientes System der Arbeitsreintegration: Wer arbeitslos und jünger als 55 ist, muss nach 150 Bezugstagen entweder ein Betriebspraktikum, eine Weiter­bildung oder eine Arbeitsmarktmassnahme (Arbeitsprogramm) durchmachen und erhält damit eine feste Tagesstruktur. Wer nicht ­mitmacht, wird mit Leistungskürzungen sank­tioniert. Denn längerfristiges Herumhängen ist Gift für die spätere Arbeitsintegration.

Ein solches Modell braucht es rasch auch für die Asylintegration. Es braucht 2016 eine Bundesregelung im Ausländer- oder Asylgesetz, die eine Arbeitspflicht – nicht eine Zwangsarbeit! – für alle Asylpersonen spätestens 3 Monaten nach dem raschen Asylentscheid vorsieht. Dazu ist ein dringlicher Bundesbeschluss nötig. Die heute gültige Integrationsverordnung ist zu schwammig und nicht justiziabel.

Einerseits müssen Asylpersonen, die in einem Beschäftigungsprogramm oder einem niederschwelligen Berufseinsteigerkurs nicht mit­machen, mit Leistungskürzung sanktioniert werden. Anderseits sollen Gemeinden, die keine kommunalen Beschäftigungsprogramme an­bieten, tiefere Bundesentschädigungen erhalten.

Kurzfristig braucht es eine Erhöhung der einmaligen Integrationszulage für Spracherwerb, Einarbeitungszuschuss und Berufsvorbereitung von bisher 6000 auf bis zu 25’000 Franken, die der Bund den Kantonen und Gemeinden fall­bezogen auszahlt. Mittelfristig braucht es ein neues Asylfinanzierungsmodell zwischen Bund und Kantonen.

Bundesrat muss Tatbeweis erbringen

Vor vier Monaten trug mir eine Kolumne mit meinem erneuten Ruf nach arbeitsmarktlicher Integration und Berufsausbildung von Asylpersonen verletzende Schelte ein: Ein linker «Blick»-Journalist bezichtigte mich mit Schlagzeilen der «Fremdenfeindlichkeit», zwei SP-Parlamentarier doppelten nach. Das ist symptomatisch.

Ich halte es aber nach wie vor für unerträglich, dass in unserem Land mehrere Zehntausend junge, gesunde Männer von Sozialhilfe leben, die jahrelang weder arbeiten noch eine berufliche Ausbildung absolvieren, nur weil die unkoordinierten Behörden versagen. Denn wer zu uns kommt, um am Wohlstand teilzuhaben, der soll auch von Anbeginn an der Erarbeitung des Wohlstands mitwirken!

Der Bundesrat wird nächstes Jahr gesetz­geberisch den Tatbeweis für ein effizienteres Integrationsverfahren erbringen müssen: Die Berufs- und Arbeitsmarktintegration von Asylpersonen ist dem bewährten System der Arbeitslosen­versicherung anzugleichen.

In beiden Fällen, bei der Flüchtlingsintegration wie auch bei der Arbeitslosigkeit, bezahlt der Bund ja den Hauptteil. Er muss in Zukunft die gesetzlichen Vorgaben machen, und die Kantone müssen den Vollzug sicherstellen. Die Berufsintegration der Asylpersonen ist eine Herkulesaufgabe. Kein Wunder, dass die beiden SVP-Bundesräte bei der Departementsverteilung kein Interesse gezeigt haben, Verantwortung dafür zu übernehmen.

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