Höhere Berufsbildung (Tertiär B): Sand im Getriebe des BBT

Kolumne Rudolf Strahm in: Schweizerische Gewerbezeitung, vom 27. April 2012. (Schweizerischer Gewerbeverband SGV)

 

Wer die Arbeitswelt und die KMU-Landschaft kennt, weiss um die volkswirtschaftliche Bedeutung der höheren Berufsbildung. Früher waren es die Meister- und Fortbildungskurse. Mit dem neuen Berufsbildungsgesetz läuft die formelle höhere Berufsbildung unter den Namen „Höhere Fachschulen HF“, „Höhere eidgenössische Berufsprüfung“ oder „Höhere eidgenössische Fachprüfung“. Sie laufen in der Bildungssystematik unter der Bezeichnung Tertiär B.

Die höhere Berufsbildung ist heute die wichtigste Transferstruktur zur Diffusion neuer Technologien und Methoden in die Wirtschaft. Allen voran profitiert die KMU-Wirtschaft von diesem System der praxisnahen Weiterbildung, Spezialisierung und Technologie-Verbreitung. Berufsleute beteiligen sich auch noch zwischen 25 und 45  Jahren häufig in berufsbegleitenden Kursen und Schulungen im Tertiär B. Sie bezahlen die teuren Kurse selber und allenfalls mit Hilfe von Arbeitgeberbeiträgen.

Neue gewerblich-industrielle Technologien werden über die höhere Berufsbildung rasch in die Wirtschaft transferiert: beispielsweise neue Bau- oder Energietechniken, Materialtechnologien, Marketing- und Managementmethoden oder Bilanzierungsstandards. Am Anfang steht für alle Absolventen die Berufslehre, doch über die höhere Berufsbildung werden sie später zu praxisorientierten Spezialisten, zu Lehrmeistern, mittleren Kadern, Vorgesetzten oder Selbständigerwerbenden.

Die höhere Berufsbildung hat aber ein Problem: Sie wird verkannt. Akademiker wissen oft nicht, was höhere Fachschulen und höhere Berufsbildungslehrgänge bedeuten. In den grossen Unternehmen sind 45% der obersten Manager und zahlreiche Personalchefs Ausländer, und diese suchen mangels Kenntnis des schweizerischen Berufsbildungssystems eher Bachelors aus ausländischen Universitäten.

Ein Schweizer Heizungstechniker mit Spezialausbildung Wärmepumpen zum Beispiel kann mehr als ein deutscher Ingenieur. Oder ein Schweizer Treuhandexperte oder Controller kann mehr als ein deutscher Bachelor der Betriebswirtschaft, der noch keinen Tag in einem Betrieb gearbeitet hatte. Im Zeichen der Personenfreizügigkeit und der grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt-Konkurrenz wird die Benachteiligung der Schweizer Absolventen drückend und manifest.

 

Die Abschlüsse der höhern Berufsbildung haben den Makel, dass sie ausserhalb der Branche nicht bekannt und von Aussenstehenden weniger wertgeschätzt werden. Ihre Titelbezeichnungen sind nicht allgemein geläufig. Es fehlen Diplomabschlusse mit schweizweit standardisierten, formalen Titelbezeichnungen, wie zum Beispiel das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis EFZ in der beruflichen Grundbildung oder der Bachelor und Master im Bolognasystem.

Seit Jahren fordern Berufsbildungskreise eine Aufwertung der höheren Berufbildung, insbesondere mehr Bundesmittel für die Ausbildung und endlich standardisierte Titel für HF-Absolventen, zum Beispiel den Titel eines „Professional Bachelor“ oder eines „Bachelor HF“ in Abgrenzung zum BachelorFH (Fachhochschule).

Zwar gibt es – wie wir dieser Zeitung entnehmen – auch Berufsbildungsverantwortliche in vereinzelten gewerblichen Verbänden, die die Titelaufwertung ablehnen. Dies ist kurzsichtig und kleinkarriert. Denn im Arbeitsmarkt und im gesellschaftlichen Umfeld gilt heute die Titelbezeichnung und das Titelprestige viel. Eine Titelaufwertung zum „Professional Bachelor“, zusätzlich zur bisherigen Diplombezeichnung, nützt nicht nur dem Einzelnen, es stärkt die Reputation der Branche!

Die Bildungsstudie 2012 der Hochschule für Angewandte Wissenschaften St.Gallen stellt aufgrund einer Befragung von 3000 Weiterbildungs-Absolventen/innen fest: Neben der Schulstandortfrage ist der Titel im Abschlussdiplom das ausschlaggebendste Kriterium für die Auswahl einer Weiterbildung. 60,1% der Absolventen geben an, der Abschlusstitel sei massgebend, während nur 28% auf die Reputation der Bildungsinstitution achten. Diese Präferenz sollte respektiert werden. Im Bundesamt für Berufsbildung und Technologie hat man sie bisher ignoriert.

Das Thema Titelaufwertung von Tertiär B ist seit Jahren im  BBT hängig. Die Bildungspolitikerin und frühere Schuldirektorin Elisabeth Zillig forderte früh eine solche, ebenso wie einzelne Direktoren von Höheren Fachschulen (z.B. der renommierten ABB-Technikerschule). Der Schweizerische Verband für Weiterbildung SVEB engagiert sich seit langem in dieser Richtung. Demgegenüber hat die träge Konferenz der Höhern Fachschulen das Thema lange verschlafen. Im Sommer 2011 verlangte eine Gruppe von Wirtschafts- und Bildungsverbänden (darunter der SGV) von der Expertenkommission Stadler, dass sie mit der Vorbereitung des dringend nötigen Weiterbildungsgesetzes WeBiG auch gleichzeitig die Titelaufwertung und Finanzierungsfrage der Höhern Berufsbildung im Berufsbildungsgesetz BBG regelt. Der Schreibende war im Büro unseres aus der Industrie stammenden Volkswirtschaftsministers und legte ihm persönlich das gleiche Anliegen vor. Die gleiche Forderung aus verschiedenen Seiten blieb ungehört und wurde auf Betreiben des BBT abgelehnt. Eine parlamentarische Motion zur Einführung des Berufstitels „Professional Bachelor“ von Nationalrat und Schulleiter Andy Tschümperlin (Schwyz) wurde vom Bundesrat auf Antrag des BBT schnöde abgeschmettert.

Das BBT verfolgt seinen eigenen Kurs, fern von den Forderungen der Praxis und der Berufsverbände. Seit Jahren werkelt es an einem sogenannten Qualifikationsrahmen, der eine Einreihung nach einem akademischen europäischen Stufensystem von Bildungsgängen ermöglichen soll. In einem eigenen nationalen Qualifikationsrahmen sollen über 800 schweizerische Abschlüsse der Berufsbildung und höhern Berufsbildung eingereiht und mit einem „Diploma Supplement“ spezifiziert werden. Ein solcher Diplombeschrieb (der auch auf englisch vorliegen soll) ist sinnvoll und für Auslandeinsätze nützlich. Die Einstufung in den achtstufigen Qualifikationsrahmen mit je drei Kriterien wird zu einer monströsen bildungsbürokratischen Aufgabe, die eigentlich nur mithilfe der Berufsverbände und Weiterbildungsinstitutionen bewerkstelligt werden sollte.

Doch der Qualifikationsrahmen ersetzt die Titelfrage nicht! In der Umgangssprache und in der gesellschaftlichen Anerkennung zählt der Titel  – und nicht ein hochtechnischer Berufsbeschrieb, den nur Personalchefs und HR-Spezialisten begreifen.

Weshalb ist denn das BBT so widerspenstig? Ausgerechnet jenes Amt, das in den letzten Jahren die Berufsbildungsreform zielstrebig verfolgt und der Berufslehre zur bildungspolitischen Anerkennung verholfen hatte? Nachvollziehbare Argumente jedenfalls brachte es nicht vor.

Doch es gibt eine „hidden agenda“, ein verstecktes, unausgesprochenes Motiv, gegen die Titeläquivalenz: Es ist die bevorstehende Fusion des BBT mit dem Staatssekretariat für Bildung und Forschung. Das ist ein Vorzeichen dafür, wie das Berufsbildungssystem von der akademischen Bildungssystematik eingekreist wird. Die Hochschullobby verbreitet standespolitische Ängste gegen den „Professional Bachelor“, denn die aufgewertete höhere Berufsbildung mit ihrem hohen Praxisbezug könnte der Massenproduktion von Hochschul-Bachelors in die Quere kommen.

Im BBT stehen karrierepolitische Motive dagegen, sich mit der Hochschullobby anzulegen. Das BBT hat wegen der bevorstehenden Fusion seit langem Sand im Getriebe. Es herrscht in der höhern Berufsbildung Stillstand. Leidtragend ist die ganze Berufsbildung. Und Leidtragende sind die Absolventen und Absolventinnen der höhern Berufsbildung, die immer noch auf eine Äquivalenz ihrer Titel hoffen. Wir müssen alles tun, dass sie nicht unter die Räder des Akademisierungs-Mainstreams geraten.

Höhere Berufsbildung: Viel Sand im Getriebe des BBT

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